Lyrik

Clemens Setz – das achte Gedicht: Die Matrix

Stand
Autor/in
Clemens Setz

Ein Fahrrad für Andrew Tate wünscht Clemens Setz im achten Gedicht. Die zärtliche Fürsorge seiner Fans könnte sowas doch bitte bewirken: „ich kauf dir ein neues, eins mit noch besserer Lenkung, ein schönes, ein nie dagewesenes herrliches Rad“. Aber vielleicht ist das doch alles ein Fall für die Matrix, das Programm, das uns alle steuert.

Die Matrix

Mein Nachbar liebt Andrew Tate
Das bedeutet, er liest nicht, so wie ich, die Zeitung
sondern steht oft nachts auf seinem Balkon
schräg über mir und betrachtet
durch sein Teleskop den Mond

Dort oben, im Krater Taurus-Littrow,
sieht er, winzig klein, Andrew Tate
auf einem Fahrrad strampeln, begleitet
von einer mächtigen Staubfahne,
und lernt von ihm über Selbstdisziplin
über Hitler und über Andrew Tate –
all das, was nicht in der Zeitung steht

Und wenn mein Nachbar leise flucht,
dann heißt das, Andrew ist wieder gestürzt
mit seinem Fahrrad unter der Last
der Anschuldigungen und der Matrix,
und die Septembernacht ist eisig
und im Vogelbad vorm Haus rotiert
wieder die einzelne weiße Feder

Nur manchmal sieht mein Nachbar lange
ganz still nach oben, so aufrecht und reglos,
als könnte er insgeheim fliegen,
und flüstert dem sich im Mondsand krümmenden
Andrew Tate irgendetwas zu
Ein neues Rad, flüstert er, glaub ich,
keine Sorge, ich kauf dir ein neues,
eins mit noch besserer Lenkung, ein schönes,
ein nie dagewesenes herrliches Rad

Lyrik | Preis Clemens Setz ist Poeta Laureatus 2024

Clemens Setz ist einer der Autoren, die wirklich weite und ausladende Brücken bauen können. Zwischen virtueller Welt und realem Alltag, zwischen Wahnsinnn und Vernunft, zwischen Netz und Erde. Eine fünfköpfige Jury wählte ihn nun zum Poeta Laureatus 2024.

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Clemens Setz