SWR2 Buch der Woche vom 05.03.2018

Lucy Fricke: Töchter

Stand
Autor/in
Brigitte Neumann

Lucy Fricke erzählt die Geschichte zweier Freundinnen um die Vierzig. Martha und Betty stammen aus ähnlich kaputten Familien. Sie haben beide Mütter mit einem Hang zu Bier und wechselnden Männern. Aber vielleicht, so die Idee der Töchter, geben die flüchtigen Väter noch etwas her. Diese Väter, inzwischen alt, krank und ängstlich, suchen den Beistand ihrer Töchter.

Autofiktion nennt Lucy Fricke das Genre ihres neuen Romans. Ihre Sprache hält die Balance zwischen Tragik und Komik, Coolness und Sehnsucht, Würde und Absturz.

War die Vorlage für diesen Roman das eigene Leben der Autorin?

Schönheit wird die Welt retten, hat Dostojewski geschrieben. Vielleicht hat er Romane wie diesen gemeint, den jetzt einfach nur genügend Leute lesen müssen, damit alles gut wird.

Schönheit nicht als malerisches, perfektes, unbeflecktes Bild, sondern die Schönheit als Moment der Liebe angesichts unseres Untergangs und im Untergang. Das Schöne im Kaputten, Beschädigten, Zerlumpten. Der Mensch als armer Teufel.

So vieles ist wahr in diesem Buch, dass die Frage an Lucy Fricke nahe liegt, ob sie als Vorlage dafür denn das eigene Leben genommen hat.

"Ich würde sagen, die Handlung ist total fiktiv, aber die Details stimmen. Und der Rest ist frei erfunden."

Ein Roadtrip auf der Suche nach dem Grund des ganzen Unglücks

"Töchter", die Geschichte zweier Freundinnen um die Vierzig, ist ein wilder Roadtrip durch Europa auf der Suche nach dem Grund für das ganze Unglück. Martha und Betty stammen aus ähnlich kaputten Familien. Sie haben beide Mütter mit einem Hang zu Bier und wechselnden Männern. Mütter, die bis heute wie eine Last an ihnen hängen. Von ihnen war nichts mehr zu erwarten.

Aber vielleicht, so die Idee der Töchter, geben die flüchtigen Väter noch etwas her. Diese Väter, inzwischen alt, krank und ängstlich, suchen den Beistand ihrer Töchter. Der eine möchte zum Sterben in die Schweiz gefahren werden, der andere gilt offiziell als tot, aber das ist auch nur eine seiner Maskeraden. Das Grab mit seinem Namen findet Betty in einem italienischen Bergdorf. 

Die Welt durch Witz entwaffnen, weil sie sonst unerträglich wäre

Die Erzählerin Betty begründet Ihren Aufbruch so:   

Lucy Fricke schüttelt ihre Leser durch. Mal ist ihr Roman zum Heulen traurig, mal so komisch, dass man hellauf lachen muss. Ähnlich erging es einem schon mit den Büchern anderer jüngerer deutscher Autoren wie Stefan Etgeton und Tino Hanekamp. Gibt es vielleicht so etwas wie ein stilles Übereinkommen, dass man die Realität zwar beschreiben, aber gleichzeitig auch durch Witz entwaffnen muss, weil sie sonst unerträglich wäre?

Fricke hat einen scharfen Blick für Details

Lucy Fricke: "Das ist nicht, dass ich die Tragik dem Leser nicht zumuten möchte. Es gefällt mir glaub ich einfach. Es ist nicht, dass ich glaube, es ist nicht zumutbar. Das Buch hat, glaube ich auch schon einige Zumutungen und einige Härten. Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke: Will man das lesen, wenn es nicht unterbrochen wird von Witz - vielleicht nicht."

Vielleicht doch. Wäre ein Versuch wert. Köstlich jedenfalls Lucy Frickes Bonmots über Urlaubsländer und Sehnsuchtsidyllen:

Wut, Enttäuschung, Witz färben den Blick aufs Leben: Der schiefe Turm von Pisa - wie mickrig er doch neben der Autobahn steht. Rom hält nur noch seine Kirchen instand. Alles Übrige kacken die Tauben zu. Durch das Auge des Pantheons fliegt ein rosa Luftballon mit Dessous-Werbung. Für den Vatikan muss man sich online anmelden. Die Fricke hat einen scharfen Blick für Details.

Von der Besessenheit nach Erlösung zur Feier der Freiheit

"Töchter", ein Roman, der als Vatersuche beginnt, mit der Besessenheit von der Idee einer Erlösung, einer irgendwie zu bewerkstelligenden Löschung des verkorksten Anfangs, er entwickelt sich schließlich zu so etwas wie einer Feier ihrer Freiheit, die Martha und Betty vor lauter Verlustschmerztrauerwut erst nicht spüren konnten.

Ist das hier so was wie der Film "Thelma und Louise", fragt eine der beiden während der Fahrt. Nee, die waren jung, schön und unterdrückt, sagt die andere. Wir sind nicht mal unterdrückt.

Lucy Fricke: "Ja, wenn man alles machen kann, was man will, dann muss man auch was wollen. Und das ist nicht jedem gegeben. Und dann wird es problematisch, eventuell. Weil man denkt, ich muss aber auch, wie so viele Andere, unbedingt was wollen. Und ich muss wenigstens glücklich werden, Karriere machen, Ziele verwirklichen. Und dadurch entsteht dann auch so ein gefühlter Druck. Wo man denkt, ich kann nicht mehr einen langweiligen Beruf machen und ein kleines Häuschen ... also, die Träume haben sich halt verändert."

Die Töchter aus Lucy Frickes gleichnamigem Roman haben am Ende gar keine Träume mehr. Und das ist in ihrem Fall ein gutes Zeichen. Betty und Martha hat diese Reise mit und zu den Vätern auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht. Auf diesem Boden - und das sehen sie erst jetzt -  tobt das Leben. Und dieses Leben ist nicht so schlimm wie befürchtet, aber es gibt auch keine Erlösung. Sondern immer nur diese eine Forderung: Du sollst fühlen.

Stand
Autor/in
Brigitte Neumann