Buchrezension: Aus dem Dachsbau

Literarisches Debüt von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow

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Wie viele seiner Kollegen aus der Popmusik, etwa Christiane Rösinger, Jochen Distelmeyer oder Bela B, hat nun auch der Tocotronic-Sänger und -Gitarrist Dirk von Lowtzow sein literarisches Debüt vorgelegt. Allerdings keinen Roman, sondern eine Art autobiografisch-anekdotische Enzyklopädie. Ganz so gut wie in seinen Songs funktionieren seine Texte – zumindest in diesem Buch - aber leider nicht auf ganzer Strecke, findet Monika Kursawe.

Literarische Miniaturen

„Unsere Nachbarn hielten sich ein Huhn, das sie Ilse nannten.“

So beginnt die erste von 72 Kurzgeschichten die Dirk von Lowtzow in „Aus dem Dachsbau“ zusammengestellt hat.

Eine besonders große Rolle spielt dieses Huhn dann gar nicht – viel mehr geht es um Eifer- und Rachsucht, Wut und Adrenalinrausch in den frühen Morgenstunden des noch sehr jungen Dirk von Lowtzow. Aber bevor man das recht begreift, ist diese erste literarische Miniatur auch schon wieder zu Ende.

Episoden und Anekdoten von A wie ABBA bis Z wie Zeit

„Nebenan würde die Nachbarstochter aufstehen und dabei ABBA hören. Sie hörte immer ABBA. Die Harmoniegesänge und Discobeats versprachen mir, Einsamkeit und Isolation abstreifen zu können, aufgehoben zu sein in Musik und buntem Licht und mich im Tanz als glücklich zu erleben. ABBA. From A to B an back again.“

Von A wie ABBA, über D wie Diskurs bis Z wie Zeit - alphabetisch geordnet reiht Dirk von Lowtzow Episoden und Anekdoten aus seinem Leben aneinander, erzählt von seiner Sozialisation durch Popmusik, Kino und Comics, schweift ab und umher, durch Städte, Landschaften und Gedanken, sprenkelt Songtexte und Gedichte ein.

Die „Schwarzwaldhölle“ von Offenburg

Das ist recht kurzweilig, vor allem in den Texten, in denen er thematisch zurück in seine Jugend kehrt. In die „Schwarzwaldhölle“ von Offenburg, wobei sich beim Autor beim Reflektieren anscheinend gelegentlich das Gefühl für Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit vermischt:

„Mein Kopf löste sich von den Schultern und flog vor mir her wie ein Geist, der weit in die Zukunft blickt, sich aber von Zeit zu Zeit nach dem Kind umschaut, das er einmal gewesen ist“.

Die konkreten Passagen sind die stärksten im Buch

Diese Ausflüge in die Vergangenheit sind die konkretesten und vielleicht deshalb auch die stärksten Passagen in Dirk von Lowtzows literarischem Debüt.
Allen voran die Erinnerung an seinen engsten Jugendfreund Alexander, der schon mit Mitte 20 an einem Gehirntumor verstarb.

„Das weiße Telefon, das in einer Ecke auf dem Boden steht, klingelt. Meine Mutter sagt, man habe in Alexanders Kopf ein bösartiges Geschwür gefunden. Kurz nach seinem Geburtstag im Februar stirbt Alexander. Bei seinem Begräbnis spiele ich ‚Gott sei Dank haben wir beideuns gehabt‘.“

Die surrealen Geschichten wirken gewollt

Alexander taucht immer wieder auf. Und diese Episoden scheinen Dirk von Lowtzow wirklich wichtig zu sein. Andere hingegen, vor allem die Geschichten, die völlig ins Surreale abgleiten, wirken auf die Dauer leider ziemlich gewollt.

Wenn Lowtzow etwa von aggressiven Spülbürsten und dem Operettenbär in seiner Wohnung erzählt, wenn er von diskursiven Eichhörnchen berichtet:

„Einige der Nagertheorien wird man als abstrus bezeichnen müssen. Ihr Steckenpferd, die Spektralkritik scheint dir zudem an diesem gottverlassenen Ort mehr als unangebracht.“

Oder wenn er mit den Meisen im Vogelhäuschen auf seinem Balkon spricht: „Ich wusste nicht recht, wie ich mich an sie wenden sollte, und brachte demzufolge nur ein verdrucktes ‚HiLeute‘ heraus. ‚Hi, Dirk‘, piepste es zurück. ‚Wir sind hier mitten in einer Gesangsprobe. Warum hörst du nicht ein Weilchen zu?‘“

Da hat sich leider einer ganz schön verlaufen, im Dachsbau

Das ist in seiner Absurdität durchaus amüsant – allerdings nur in kleinen Dosen. Oft fühlt man sich beim Lesen auch an Songs von Tocotronic erinnert, vor allem an das letzte Album „Die Unendlichkeit“, das ja auch schon stark autobiografisch war. Was bei den Liedtexten jedoch so unglaublich gut funktioniert, das so wunderbar verrätselt Konkrete, das verliert in Buchform, vor allem auf die Länge, recht schnell seinen Reiz.

Am Ende bleibt das Gefühl von: Da war schon sehr viel Schönes dabei – und hat sich dann leider doch ganz schön verlaufen, im Dachsbau.

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Autor/in
SWR