SWR2 Buch der Woche vom 3.2.2019

Aus dem Englischen von Dirk Gunsteren

Stand
Autor/in
Eberhard Falcke

Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren

Der Schriftsteller T.C. Boyle erzählt in seinem neuen Roman „Das Licht“ von Timothy Leary, der in den sechziger Jahren die Weltverbesserung durch Drogenkonsum erfand.

Leary wurde zum Guru der Gegenkultur. Von ihm ließen sich Beat-Poeten, Hippies, Popmusiker und viele andere in die Kunst der befreienden Bewusstseinserweiterung durch LSD einführen.

Boyle schildert, wie das alles anfing – und bald seinen überirdischen Glanz verlor.

T.C. Boyle durchleuchtet das Zusammenleben der Menschen

Es gibt immer gute Gründe, auf ein neues Buch von T.C. Boyle gespannt zu sein. Er ist nicht nur ein ausgezeichneter Erzähler, sondern auch vielseitig interessiert an zentralen Themen des Zeitgeschehens wie selten einer.

Und gleich, ob es sich um ökologische Probleme handelt, um amerikanische Befindlichkeiten, um Migration oder Weltverbesserungsprojekte - immer macht er deutlich, dass es das dramatische Mit- und Gegeneinander von Menschen ist, das über alle Ideen und Bestrebungen entscheidet.  

Erneut ein Roman über eine historische Schlüsselfigur: Timothy Leary

Kein Wunder, dass er sich auch immer wieder historische Schlüsselfiguren vorgenommen hat, um zu durchleuchten, wie sie in ihrem sozialen Umfeld gewirkt haben. Aus dem Pantheon amerikanischer Größen hat er bereits den Architekten Frank Lloyd Wright, den Sexforscher Alfred Kinsey und den Gesundheitsapostel John Harvey Kellogg in seine Romane geholt.

Nun hat er diese illustre Gesellschaft um den Psychologen Timothy Leary erweitert, der entscheidend dazu beigetragen hat, dass sich in den sechziger Jahren epidemisch die Überzeugung verbreitete, es wäre möglich, die Welt durch den Genuss von Drogen zu verbessern.

Timothy Learys Denken und Wirken stehen im Mittelpunkt von T.C. Boyles neuem Roman "Das Licht".

Der Roman beginnt mit der Entdeckung des LSD

Es war im Jahr 1943, als ein gewisser Albert Hofmann im Labor des Basler Pharmaunternehmens Sandoz eine wissenschaftliche Sternstunde erlebte. Bei einem Selbstversuch entdeckte er die psychoaktiven Eigenschaften des LSD und konnte begeistert berichten:

Mit dieser Szene bringt T. C. Boyle seinen neuen Roman auf den Weg, um dann mit einem Zeitsprung von knapp zwanzig Jahren zu seinem eigentlichen Thema zu kommen. Denn Albert Hofmann war zwar der Entdecker der psychedelischen Droge LSD, aber derjenige, der sie wie kein anderer als Zaubermittel der Bewusstseinserweiterung bekannt und zum schillernden Mythos gemacht hat, das war Timothy Leary, der als Psychologe begann und sich bald zum Drogen-Guru entwickelte.

Der charismatische Psychologe rekrutiert Anhänger

Nach dem Vorspiel in Basel versetzt uns der erste Teil des Romans in das Jahr 1962 an die Universität Harvard. Dort forschte Leary über den psychotherapeutischen Nutzen der aus halluzinogenen Pilzen gewonnenen Droge Psilocybin.

Schnell sammelte sich um ihn ein eingeschworener Kreis von Studenten und Kollegen. In diesen Kreis platziert T.C. Boyle seine fiktiven Protagonisten, das Ehepaar Fitz und Joanie mit ihrem dreizehnjährigen Sohn Corey. Sie sind es, aus deren Perspektive die Geschehnisse der nächsten Jahre geschildert werden.

Zunächst musste Leary mit dem ihm eigenen Charisma und unter Hinweis auf seine schamanistischen Trips in Mexiko den Doktoranden Fitz und dessen Frau erst einmal dazu überreden, an den samstäglichen Drogensitzungen seiner Forschungsgruppe teilzunehmen.  

Leary nutzte die Wirkung der Droge zu seinem Vorteil

Die Wirkung der Droge war für alle Teilnehmer umwerfend. Und mit seinem überschäumenden Talent für kühne Visionen konstruierte Leary dazu sogleich einen gigantischen theoretischen Überbau.

Waren nicht die Religionen, wie Gott überhaupt, vor allem eine Drogenerfahrung? Waren nicht die befreienden Energien des psychedelischen Lichts bestens zur Erlösung des Einzelnen aus seinem falschen Leben geeignet?

Ein Sommer-Trip der Kommune

Mit seinen eigenwilligen Methoden setzte sich Leary spektakulär ab von der konventionellen Verhaltenspsychologie des Behaviorismus, die seine Harvard-Kollegen vertraten. Dafür verachtete er sie als Spießer, und sie revanchierten sich, indem sie ihn hinauswarfen. 

Nachdem Leary Harvard verlassen musste, organisierte er 1962 für seinen kleinen Trupp von Anhängern, der bald zu einer sexuell libertären Kommune zusammenwuchs, einen traumhaften Sommer an der mexikanischen Pazifikküste.

Boyle wandert zwischen Historie und Fiktion

Im Jahr darauf konnten die LSD-Psychonauten dann, dank der stets guten Verbindungen ihres Meisters zur High Society, in das berühmt gewordene luxuriöse Landhaus-Domizil in Millbrook, einem Dorf im Bundesstaat New York, umsiedeln. Das ist der Schauplatz für den längsten Teil der Romanhandlung.

Was aber mag T.C. Boyle an dieser Geschichte gereizt haben? Gewiss ist jedenfalls dies: Im Hinblick auf die Wege und Abwege der Emanzipationsbewegungen in den sechziger, siebziger Jahren ist das alles ein hochinteressanter Stoff, der sich ohne weiteres mit den kulturhistorisch schon viel etablierteren Legenden über den Tessiner Esoteriker-Hügel Monte Verità messen kann.

Ein idealer Romanstoff ist es allerdings nicht unbedingt, da sich T.C Boyle bei der in diesem Fall gebotenen Gratwanderung zwischen historischen Fakten und erzählerischer Fiktion spürbar manche Beschränkungen bei der Gestaltung der Handlung auferlegt hat.

Der LSD-Prophet Timothy Leary wird nicht demontiert

Trotzdem glänzt er auch hier mit seiner bewundernswerten Fähigkeit, die unterschiedlichsten Erzählkonstellationen spielend zu meistern - und zwar nicht nur durch die fesselnde, lebendige Vergegenwärtigung seiner Figuren und ihrer Konflikte, sondern zugleich durch eine glaubwürdige, dem Gegenstand angemessene Darstellungsform.

Natürlich ist es heute unmöglich, Timothy Leary zu glorifizieren, genauso wie es billig und engstirnig wäre, ihn schlichtweg zu demontieren. T.C. Boyle tut weder das eine noch das andere.

Die Schattenseiten der Bewusstseinserweiterung

Dennoch macht er ganz ohne erhobenen Zeigefinger deutlich, und das ist gewiss einer der Gründe, warum er diesen Roman geschrieben hat, wie Licht und Schatten der damaligen Befreiungseuphorie verteilt waren.

Zu den schattigeren Seiten gehörte, das auch die spirituelle Erleuchtung ohne Geld nicht zu haben war.

Eine Perspektive aus dem inneren Kreis der Anhänger

T. C. Boyles entscheidender Kunstgriff besteht darin, dass er nicht den großen Guru Timothy Leary, sondern Fitz und Joanie zu Kronzeugen seiner Darstellung macht. Damit kann er aus dem inneren Kreis heraus erzählen, von der Erfahrungsebene der Anhänger her.

Am Ende blieb von den großen Ambitionen des Anfangs nur noch ein drogengetriebener Lifestyle übrig. Entsprechend dürftig fiel die Antwort aus, als Fitz eine letzte Ermutigung bei seinem spirituellen Führer suchte.

Die Dynamik der Kommune wird literarisch durchleuchtet

Timothy Learys Laufbahn als Prophet der Bewusstseinserweiterung ging auch nach dem Zeitabschnitt, den der Roman schildert, weiter bis zu seinem Tod - widersprüchlich, abgefahren, oftmals hochdramatisch, zuweilen aber auch grotesk oder komisch.

Doch gerade durch die Konzentration auf die ersten drei Anfangsjahre werden alle Höhenflüge, Risiken und Nebenwirkungen dieser ambitionierten Lebensreformbewegung umso deutlicher ins Licht gerückt.

Damit ist T.C. Boyle eine weitere Folge seiner amerikanischen Comédie humaine gelungen - spannend und erhellend zugleich.

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Eberhard Falcke