50 Jahre 68er-Revolution als Anlass für eine Buchreihe
Jahrzehnte Kampf um die Deutungshoheit liegen hinter uns, jüngst wurde gar wieder eine konservative Wende ausgerufen. Da tut es gut, wenn der Wagenbach-Verlag mehrere Klassiker der Umbruchsituation um 1968 neu aufgelegt hat.
- Ulrike Meinhof: Bambule. 144 Seiten.
- Peter Schneider: Ansprachen. 96 Seiten.
- Peter Brückner: Ungehorsam als Tugend. 128 Seiten.
- Rudi Dutschke: Geschichte ist machbar. 128 Seiten
"1968 – Politik ist lesbar", lautet das Motto der Reihe; angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung allerdings müsste es eher lauten: „2018 – ist 1968 schwer verständlich“. Beim ersten Durchlesen wirkt vieles überholt, insbesondere von der Digitalisierung: Der Springerpresse warf man damals noch irrationale Emotionalisierung vor; heute sind Storytelling und Gefühligkeit im Journalismus, zumal auf der Jagd nach Klicks, der letzte Schrei.
Was so unterschiedlich scheint, weist doch viele Parallelen auf
Damals unterdrückte angeblich das Kapital die Phantasie; heute werden wir gerade durch Netzgiganten wie Facebook, Apple und Netflix mit Träumen bombardiert. Damals gab es offensichtlich nur Fabriken, und die lagen in den Händen der herrschenden Klasse; heute können digitale Selfmade-Unternehmer ganze Industrien vom Laptop aus umkrempeln. Worte wie „Produktionsmittel“ riechen nach ranzigem Industriefett. Zeitlos, aktuell und grundlegend wirkt dagegen vor allem einer: Erich Fried.
Erich Fried entlarvt hier die Bigotterie des Vietnamkriegs, schonungslos im Inhalt, einfach in der Form, unglaublich aufrüttelnd, davon könnte heute mancher kreischende und orthographisch ungefestigte Social-Media-Aktivist viel lernen. Zumal man nur oft „Irak“ statt „Vietnam“ einsetzen kann und merkt, wie aktuell es ist, Janusköpfigkeiten in der Weltpolitik aufzuzeigen.
Der Vietnamkrieg als Auslöser der Straßenproteste
„und Vietnam und“ hießt Frieds Gedichtband und erhärtet die These, dass es zwar allerlei Unrecht gab – von Altnazis in der Bürokratie bis zu machthungrigen Ordinarien, dass aber erst der Vietnamkrieg den Protest auf der Straße losbrechen ließ. Dabei war Frieds Poesie zwar engagiert, blieb aber wachsam gegenüber Dogmatismus und Eigenblindheit – was nicht immer und überall der Fall war, man denke an die RAF.
Erich Frieds Werk: zeitlos
Zeitlos gültig, gerade heute, wo mancher Linke selbstherrlich auf Facebook zu Gewalt gegen Pegida und AfD aufruft. Als hätte man nicht gelernt, dass am Ende die RAF das linke Milieu am schlimmsten diskreditiert hat.
Die kleine Buchreihe beweist so: Ja, das ist alles ein halbes Jahrhundert her. Vielfach angestaubt, fruchtbar nur mit einer gehörigen gedanklichen Transferleistung. Aber beim Drive macht den 68ern niemand heute was vor: Rudi Dutschke wagte noch, von der „Weltrevolution“ zu träumen. Heute stellt schon der Aufruf „Engagiert Euch!“ das Nonplusultra dar, ganz egal, wohin diese Couch-Potato-Demokratie auch will.
Die 68er wirken so übereifrig, weil sie vieles erkämpft haben, was heute selbstverständlich ist. Die fünf kleinen Bände zeigen differenziert und gut ausgewählt die beeindruckende Bandbreite der Gesellschaftskritik: theoretisch und praktisch, wissenschaftlich, literarisch, nüchtern und – herzergreifend polemisch.