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George Orwells "1984" lässt grüßen
„Die 33. Hochzeit der Donia Nour“ spielt sicher nicht zufällig im Ägypten des Jahres 2048. 48 ist die Umkehrung von 84, und George Orwells Dystopie „1984“ hat definitiv Pate gestanden für Hazem Ilmis Roman. Denn auch „Groß-Ägypten“, wie es im Buch heißt, ist ein totalitärer Überwachungsstaat. Das Land ist dreigeteilt: Im Norden leben die Reichen, in der Mitte eine entmündigte, aber einigermaßen wohlhabende Mittelschicht und im Süden die Armen und die, die eine Strafe absitzen. Die ganz harten Fälle, zum Beispiel die, die Kritik äußern, werden verbannt.
Das hat der weise Herrscher, der „Nizam“, so geregelt, um die lästigen Konflikte zwischen den Bevölkerungsschichten zu beenden. Das herrschende Gesetz ist die Neo-Scharia, eine Art islamistische Koran-Auslegung, die die Menschen nach einem Punktesystem bewertet: Punkte gibt’s für angepasstes Verhalten und für regelmäßiges Beten, ein elektronischer Rosenkranz übermittelt die Daten. Dumm, wenn man's mal vergisst. Dann erscheint auf dem Bildschirm der Kabine, in der man sein Gebet verrichtet, eine Nachricht wie die folgende:
Eine Dystopie aus religiösem Fanatismus und kapitalistischem Konsum
Die religiöse Kontrolle ist also perfekt. Und auch sonst wird nichts dem Zufall überlassen. Denn der Herrscher hat herausgefunden, dass nicht nur Religion, sondern auch Konsum Opium für das Volk ist. Deshalb ermuntert er die Mittelägypter zum Shoppen, auch das bringt Punkte. Nachts sendet das „Ministerium für Sleepvertising“ kommerzielle Werbeslogans in die Hirne der schlafenden Bürger, tagsüber blinken Firmenlogos auf den elektronischen Kopftüchern der Frauen:
Hazem Ilmis Vision von Großägypten im Jahr 2048 ist eine bitterböse Groteske, die die Pläne der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ mit den finsteren Auswüchsen des Kapitalismus kreuzt. Diese Dystopie ist deshalb so unheimlich, weil sie gar nicht so unwahrscheinlich wirkt. Zumal der Westen im Roman gute Geschäfte mit diesem totalitären System macht und es dadurch stabilisiert – das kommt einem leider nur allzu bekannt vor.
Die Verhältnisse provozieren den Widerstand der unauffälligen Heldin
In diesem Großägypten des Jahres 2048 lebt nun also Donia Nour, 22 Jahre jung, ein kleines Licht in der mittelägyptischen Verwaltung. Nichts legt nahe, dass ausgerechnet sie zur Rebellin werden wird – sie ist streng gläubig, lebt bei ihrem Vater und geht jeden Tag brav ihrer Arbeit nach: Sie kontrolliert die Daten, die die elektronischen Rosenkränze zählen.
Aber Donia ist doch nicht ganz so durchschnittlich: Sie gibt sich nicht damit zufrieden, dass andere über ihr Leben entscheiden, und will Ägypten, diesen „Albtraum von Land“, verlassen. Das ist natürlich illegal und kostet viel Geld, das Donia sich erarbeitet, indem sie sogenannte „Genussehen“ eingeht: Ehen für eine Nacht, die anschließend annulliert werden. Dafür muss sie regelmäßig kleine Operationen an ihrer Jungfernhaut vornehmen lassen – solche Ehen gibt es übrigens tatsächlich.
Auch die 33. "Genussehe" verlangt Jungfräulichkeit
Die 33. dieser Hochzeiten läuft allerdings aus dem Ruder, Donia gerät an den Obersten Richter, der herausfindet, dass sie keine Jungfrau mehr ist und ihr Rache schwört. Durch seine Verfolgung lernt Donia auch den Süden Großägyptens kennen, in dem die Menschen wie Sklaven gehalten werden. Donia zum Beispiel muss den ganzen Tag Sand schaufeln:
Aus dieser Hölle kommt Donia als Eigentum des Obersten Richters in den Norden, wo es sich die Reichen auf Kosten der anderen gutgehen lassen. Sie deckt dabei das größte Geheimnis des Staatschefs auf: Den Wohlstand Ägyptens finanziert er mit dem Verkauf der Altertümer, die er offiziell als satanisch brandmarkt, ins Ausland. Ihre Einblicke in dieses verlogene System machen Donia vollends zur Rebellin.
Der Philosophieprofessor landet nackt - wie der Terminator
Sie bekommt bei ihrer Revolte Unterstützung von Ostaz Mukhtar, einem ebenso sonderbaren Aufrührer: Der Philosophieprofessor wurde im Ägypten des Jahres 1952 von Außerirdischen entführt, die ihn im Jahr 2048 nackt auf dem Kairoer Tahrir-Platz absetzen, damit er in Ägypten ein bisschen aufräumt. Das erinnert sicher nicht zufällig an die Terminator-Filme, wo ja durch Zeitreisen auch immer die Kleidung abhanden kommt. Die ganze Handlung hat durchaus etwas von einem Action-Film, und auch sonst ist Hazem Ilmis Roman voll von pop- und hochkulturellen Referenzen.
Professor Ostaz liefert nun das intellektuelle Rüstzeug für den Aufstand, indem er den Herrschenden Egoismus attestiert und den Koran kritisiert:
Der Autor könnte durch eine Fatwa bedroht werden
Kein Wunder, dass Hazem Ilmi sein Buch unter Pseudonym veröffentlicht und sich noch kein arabischer Verlag dafür gefunden hat. Nur soviel ist bekannt: Ilmi stammt aus Ägypten, lebt aber heute in Neuseeland. Ostaz' süffisante Fragen an den Islam würden dem Autor vermutlich eine Fatwa einbringen. So ist es schließlich schon dem Algerier Kamel Daoud aufgrund der islamkritischen Passagen in seinem Debütroman ergangen.
Die Waffen gegen den islamistischen Irrsinn: Freundschaft, Mut und Humor
Und nicht nur Daouds Buch fällt einem als Referenz sofort ein. Es ist auffällig, wie viele arabische Dystopien im Moment erscheinen. Auch der gerade auf Deutsch herausgekommene Roman „2084“ von Boualem Sansal spielt in einem islamistischen Zukunftsstaat und lehnt sich explizit an Orwell an. Michel Houellebecqs „Unterwerfung“, in dem ein Moslem französischer Präsident wird, ist auch nicht weit.
Doch was für eine Wohltat ist die Lektüre von Ilmis Roman im Vergleich zu den sinistren Büchern von Orwell und Houellebecq! Denn Ilmis Roman ist bei aller Skepsis wahnsinnig komisch, er verzichtet nicht auf Slapstick, und Groß-Ägypten 2048 ist bis ins Detail originell entworfen. Außerdem glaubt Hazem Ilmi daran, dass die Menschheit eine Zukunft und drei wirksame Waffen gegen den islamistischen Irrsinn hat: Freundschaft, Mut und Humor.