Nein, dies ist kein Schlüsselloch-Roman über Magda Behrend, die später Magda Quandt und noch später Magda Goebbels heißen sollte und zu einer der furchterregendsten und undurchdringlichsten Figuren des Dritten Reichs werden sollte. Denn auch wenn diese Frau in Nora Bossongs Roman immer wieder auftritt – erzählt wird sie von der eigentlichen Hauptfigur von „Reichskanzlerplatz“, dem fiktiven Hans Kesselbach.
Kesselbach geht gemeinsam mit Magda Quandts Stiefsohn Hellmut in die Schule und wird auf diese Weise in das Haus der Quandts eingeführt. Kesselbach ist homosexuell; Hellmut ist seine erste große und tragische Liebe; tragisch zum einen, weil sie verschmäht wird, zum anderen, weil Hellmut früh an einer Blutvergiftung stirbt.
Doch Nora Bossong ist eine viel zu reflektierte und politisch wache Autorin, um in diesem Stoff einen bloß historischen zu suchen. Denn Bossong schildert in „Reichskanzlerplatz“ einen phlegmatischen Opportunismus, der dafür verantwortlich ist, dass die Weimarer Republik implodierte und die Nationalsozialisten den Staat in ein totalitäres Regime umbauen konnten. Eine Mischung aus Glorifizierung der alten Zeiten, wirtschaftlichen Interessen und politischem Desinteresse. Und die Selbstberuhigung, dass alles ja gar nicht so schlimm werden würde, obwohl es bereits sehr schlimm war.
Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand. Die Aussage ist allerdings nicht die, dass wir in einer neuen Weimarer Republik leben. Es geht vielmehr um eine schleichende Veränderung des gesellschaftlichen und politischen Klimas, die in diesem Roman subtil dargestellt wird.