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Louis-Ferdinand Céline: Krieg

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Wenn er noch lebte, müsste einem der Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline fast ein wenig leidtun. Kaum sucht irgendwer nach einem Beispiel dafür, dass in ihrem Charakter und in ihren politischen Haltungen fragwürdige Menschen trotzdem hervorragende Schriftsteller sein können, dauert es keine drei Sekunden, bis sein Name genannt wird. Dabei ist es noch nicht einmal sein richtiger Name, sondern der Künstlername des 1894 geborenen Arztes Louis Ferdinand Destouches.

Der Haken an dieser wohlfeilen Behauptung „übler Typ, aber guter Schriftsteller“ ist, dass sie zutreffend ist. Ja, Céline war Antisemit und Verfasser übelster Pamphlete. Und ja, er war ein herausragender Schriftsteller, dessen Werk bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat.

Das gilt auch für diesen Roman, der nun erstmals in deutscher Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel erscheint und dessen Publikationsgeschichte abenteuerlich ist, behauptete der Autor doch, das Manuskript sei ihm gestohlen worden, bevor es nun schließlich gemeinsam mit einer Reihe weiterer handschriftlicher Seiten im Nachlass aufgefunden wurde. „Krieg“ erzählt von Célines Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg und eröffnet mit der eindrucksvollen Szene, in der der Ich-Erzähler nach einer Nacht inmitten des Gefechtslärms aus einer Bewusstlosigkeit erwacht, das linke Ohr an den Boden geklebt vom Blut.

Man darf naturgemäß nicht erwarten, dass Céline in seinen Schilderungen Rücksicht auf zarte Gemüter nimmt. Ideologisch bleibt das Buch im Vagen: Die pathetische Begeisterung der Öffentlichkeit für den Krieg verspottet Céline im gleichen Maß wie er es ablehnt, aus seinen Erfahrungen allgemeingültige Forderungen abzuleiten. „Krieg“ ist kein Pamphlet, sondern schlicht große Literatur.

Diskussion über vier Bücher SWR Bestenliste November mit Büchern von Terézia Mora, Daniel Kehlmann u.a.

Die SWR Bestenliste war zu Gast bei „Open Books“, dem großen Literaturfest der Frankfurter Buchmesse. Aus der Jury der Bestenliste saßen auf dem Podium der Evangelischen Akademie: Martina Läubli (Neue Züricher Zeitung), Kirsten Voigt (WDR) und Martin Ebel (Tages-Anzeiger). Carsten Otte moderierte den Abend. Aus den vier vorgestellten Büchern der SWR Bestenliste im November las Isabelle Demey.
Zum Auftakt ging es um den bislang unbekannten Roman „Krieg“ von Skandalautor Louis-Ferdinand Céline (Platz 8), den Hinrich Schmidt-Henkel für den Rowohlt Verlag ins Deutsche übertragen hat. Es entspann sich eine kontroverse Diskussion: Martina Läubli gibt zu, dass der sehr anschauliche und auch abstoßende Text über das Kriegselend sie „gepackt“ habe. Kirsten Voigt nennt „Krieg“ ein „Wutbuch“, das auf den Effekt geschrieben wurde und ein misanthropisches und misogynes Menschenbild offenbare. Martin Ebel erklärte, das seien „bürgerliche Reaktionen auf einen Autor, der mit dem Bürgertum nichts zu tun hatte“. Für ihn ist Céline einer der Wegbereiter der literarischen Moderne in Frankreich.
Auch Daniel Kehlmanns Roman „Lichtspiel“ aus dem Rowohlt Verlag (Platz 5) hinterließ unterschiedliche Leseeindrücke in der Jury. Die literarisierte Arbeits- und Lebensgeschichte des legendären Stummfilm-Regisseurs Georg Wilhelm Pabst hält Martin Ebel für einen „ganz großen Wurf“. Kirsten Voigt gibt zu, viele starke Szenen über einen Künstler in der NS-Diktatur gelesen zu haben, die sich leider nicht zu einem „großen Bogen“ schlössen. Läubli sieht eine raffinierte literarische Vorbereitung einer Verfilmung dieser Lebensgeschichte, die aber durch den zu gedrechselten Stil an Dringlichkeit verliere.
Durchweg gelobt wurden die autofiktionalen Erzählungen der zweifachen Booker-Preisträgerin Hilary Mantel (Platz 2). „Sprechen lernen“ heißt der Band aus dem Dumont-Verlag, den Werner Löcher-Lawrence ins Deutsche übertragen hat. Das Buch enthält sieben beunruhigende und „sprachlich makellose“ Geschichten, die von einer Kindheit und Jugend im Norden Englands, und zwar in den 1950er und 1960er Jahre erzählen.
Genauso positiv reagierte die Jury auf die Spitzenreiterin der SWR Bestenliste im November: „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ heißt der aktuelle Roman der Büchner-Preisträgerin Terézia Mora, der im Luchterhand Verlag erschienen ist. Erzählt wird die Geschichte von Muna, die als Schülerin Ende der 1980er Jahre in einer DDR-Kleinstadt den Französischlehrer Magnus kennenlernt und sich in ihn verliebt. Doch der begehrte Mann, der vor seinen eigenen Dämonen flieht, entwickelt sich in der Beziehung zu einem rücksichtslosen Schläger. Die Jury lobte insbesondere die Form der Erzählung, die nicht zuletzt auf ästhetischer Ebene die Entwicklung einer Schriftstellerin zu ihrem ersten Buch zeige.

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