Die 1980 geborene Kerstin Preiwuß gehört zu den wenigen Ausnahmeerscheinungen, die sowohl Lyrik als auch Romane schreiben und in beiden Gattungen ausgesprochen elegant, hochgradig sprachbewusst und formal originell agieren kann.
„Heute ist mitten in der Nacht“ ist keinem Genre eindeutig zuzuordnen, aber es ist ein ungemein gegenwärtiges Buch, in dem eine Erzählerin mit einer dünnen Membran gegenüber der Außenwelt die Angstgefühle unserer Zeit und deren Wirkung auf sich beschreibt.
Ein Unfall, der fast passiert wäre und der Mutter und Kind das Leben gekostet hätte. Eine Familie, in der die Todesfälle sich häufen. Der Unfall des Stiefvaters, der nach einem Fahrradunglück im Koma liegt.
Das Zentrum all dieser Ereignisse ist das Bewusstsein der Ich-Erzählerin, in dem das Geschehen sich verdichtet und sprachlich niederschlägt. Entscheidend ist die Empfindung von Bedrohung, die jederzeit in reales Ungemach umschlagen kann, denn plötzlich ist die Pandemie da, ist das Virus da, das dafür sorgt, dass die Menschen sich isolieren müssen, voneinander fernhalten müssen und das auf einem insgesamt prekären Planeten, auf dem Krieg herrscht. „Heute ist mitten in der Nacht“ ist ein Buch, das niemanden schont.
Kerstin Preiwuß fordert ausdrücklich auf, immer wieder: „Seziere deine Angst.“ Das ist eine Aufforderung an alle. Preiwuß übersteigt das eigene Unglück, indem sie es verallgemeinert und damit aus dem Privaten heraushebt. Anders gesagt: Die Angst geht uns alle an.