Platz 3 (53 Punkte)

Annie Ernaux: Das andere Mädchen

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Für Annie Ernaux kam der Literaturnobelpreis offenbar überraschend. Die Autorin war jedenfalls für die Jury am Tag der Preisverkündung telefonisch nicht erreichbar. Da die Art der Literatur, die die französische Schriftstellerin maßgeblich mitgeprägt hat, derzeit hoch im Kurs steht, ist die Vergabe des Preises an Ernaux aber geradezu folgerichtig.

Annie Ernaux, geboren 1940, bezeichnet sich als eine „Ethnologin ihrer selbst“. Dass diese ethnologischen, zumeist im Umfang knapp gehaltenen Erkundungsgänge erstaunliche Einsichten in die Verfasstheit der französischen Gesellschaft produzieren, macht Ernaux zu einer jener gefeierten Schriftstellerinnen, die die Klassenfrage literarisch gestellt haben.

„Das andere Mädchen“, ein Band von gerade einmal rund 70 Seiten, ist im Original 2011 erschienen und erzählt von einer frühen Begebenheit, die Annie Ernaux widerfahren ist, als sie zehn Jahre alt war und die ihr Leben maßgeblich verändert hat: Sie schnappt ein Gespräch auf, das die Mutter mit einer Bekannten führt und aus dem sie erfährt, dass sie eine Schwester hatte. Dieses andere Mädchen ist im Alter von sechs Jahren an Diphterie gestorben, vor der Geburt der zweiten Tochter.

Das Buch, das vor uns liegt, ist ein langer Brief, den die Schriftstellerin an ihre tote Schwester schreibt. Und natürlich auch an sich selbst. Anhand von Fotografien und Dokumenten versucht sich Ernaux an einer Rekonstruktion. Und sie wird sich der Tatsache bewusst, dass sie selbst nur lebt, weil die Schwester gestorben ist, denn ein zweites Kind hätten die Eltern sich nicht leisten können. So bekommt „Das andere Mädchen“ in mehrfacher Hinsicht eine existentielle Dimension.

Buchkritik Annie Ernaux – Das Ereignis

Frankreich im Oktober 1963: Alles deutet darauf hin, dass die junge Literaturstudentin Annie schwanger ist. Ihre Periode bleibt aus, sie leidet unter Magenverstimmungen. Ein Gynäkologe bestätigt den Verdacht, und doch verdrängt die Ich-Erzählerin die Realität.

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