Im Jahr 2018 veröffentlichte Daniela Dröscher ein Buch mit dem Titel „Zeige deine Klasse“. Damit war sie der aktuellen Debatte in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ein gutes Stück voraus. Nur wenig später ging ohne den vermeintlich eingemotteten Begriff der Klasse kaum noch etwas. Dröscher, in München geboren, wuchs im rheinland-pfälzischen Hunsrück auf, in einer Gegend, die bis heute mit dem Wort „strukturschwach“ umschrieben wird.
Dröscher erzählt vom Eigenheim in den Helmut-Kohl-Boomjahren, von einer Familie, die sich selbst als gesellschaftliche Mitte begreift, und von den Umzügen in bessere Wohnlagen, die für einen bescheidenen Aufstieg stehen. In ihrem neuen Buch nun verschiebt Daniela Dröscher den Fokus, bleibt aber der autofiktionalen Milieu- und Herkunftserforschung verbunden. Auch in „Lügen über meine Mutter“ geht es um die Sehnsucht nach sozialem Aufstieg und den Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit. Die Mutter ist übergewichtig. Die Familie kommt im Dorf an, in der neuen Heimat. Für den Vater wird das Übergewicht der Mutter zum Fixpunkt. Sie, so seine Konstruktion, ist dafür verantwortlich, dass ihm verwehrt wird, wonach er strebt.
Die erwachsene Erzählerin vergegenwärtigt sich diese Zeit noch einmal: das Aufwachsen in Westdeutschland, den Mikrokosmos der Familie. Vor allem aber stellt sie die Frage: Was an alldem stimmt? Wer ist dafür verantwortlich? Gibt es einen größeren Zusammenhang? Dröschers Buch ist ein Familienalbum und das Porträt einer Frau, die um Unabhängigkeit kämpft.