Mit erfreulicher Unermüdlichkeit sucht und findet Sebastian Guggolz für seinen Kleinverlag nun seit Jahren immer wieder überraschende Wiederentdeckungen aus der nord- und osteuropäischen Literatur. Tarjei Vesaas, geboren 1897 in der norwegischen Provinz Telemark, aufgewachsen auf einem Bauernhof, gestorben 1970, gilt vielen seiner Bewunderer bis heute als einer der bedeutendsten norwegischen Autoren überhaupt.
Den elterlichen Hof hatte Vesaas seinerzeit nicht übernommen, was ihm lange Zeit Schuldgefühle verursacht hatte. Nach ausgedehnten Reisen in europäische Großstädte, die ihn faszinierten und zugleich erschreckten, kaufte er sich 1934 in seinem abgeschiedenen Heimatdorf einen Hof, auf dem er bis kurz vor seinem Tod lebte.
„Die Vögel“, Vesaas‘ 1957 erschienener und bekanntester Roman, ist vor diesem Hintergrund durchaus auch als das Selbstporträt eines Außenseiters zu lesen, der sich von der Zivilisation abgewendet hat. Es ist die in einer unspektakulären, aber beschreibungsstarken und atmosphärisch aufgeladenen Sprache erzählte Geschichte von Mattis, der gemeinsam mit seiner Schwester Hege in der norwegischen Provinz lebt, gilt für seine Außenwelt als geistig zurückgeblieben. Man betrachtet ihn in einer Mischung aus Spott und distanziertem Wohlwollen. Doch in seinem Kopf ist Mattis seiner Umwelt weit voraus.
Die Schriftstellerin Judith Hermann schreibt in ihrem Nachwort, an Vesaas‘ Hand werde man in das Universum eines sensiblen und überempfindsamen Menschen geführt, der dort Zeichen sehe, wo die Anderen nur den bloßen Sachverhalt bemerkten. Das gilt im Besonderen auch für die Natur.
Eines Tages taucht ein fremder Mann auf dem Hof auf und verliebt sich in Hege. Mattis‘ Welt gerät aus dem Gleichgewicht. Hinrich Schmidt-Henkel, einer der versiertesten Übersetzer unserer Zeit, berichtet, er habe für seine Arbeit an „Die Vögel“ alles benutzen müssen, was er in 30 Jahren gelernt habe. Es hat sich gelohnt. „Der Text glüht“, schreibt Judith Hermann.