Der Wirtschaftsjournalist Bernd Ziesemer hat dessen spannende und wechselvolle Geschichte bis ins Detail verfolgt.
Es gibt selten eine Person, die so viele Widersprüche in sich vereint wie Gerhard Flatow, geboren 1910, gestorben 1980. Er war Kommunist und Wirtschaftsmanager, Stahlgroßhändler, Millionär und Gründer einer der ersten maoistischen Parteien im Deutschland der siebziger Jahre. Dass eine Person derart unterschiedliche Seiten in sich verkörpern kann, ist kaum zu glauben.
Aber der Wirtschaftsjournalist Bernd Ziesemer, Autor dieser Biographie, bringt Gerhard Flatow besonderes Verständnis entgegen: Denn Ziesemer schwenkte selbst in den siebziger Jahren die Mao-Bibel und war in einer maoistischen K-Gruppe organisiert.
Später musste er sich als Chefredakteur des Handelsblattes von dem Vorstandsvorsitzenden eines großen deutschen Konzerns sagen lassen, wir sollten uns „China zum Vorbild nehmen“. Mit anderen Worten: Ziesemer kennt die Widersprüche aus eigener Erfahrung.
Kommunist und Wirtschaftsmanager: ein Doppelleben über 50 Jahre
Aber dass jemand 50 Jahre lang geradezu ein Doppelleben führte wie Gerhard Flatow, ist schon sehr erstaunlich. Anfang der dreißiger Jahre kämpfte er als junger Kommunist mit seiner „Roten Studentengruppe“ gegen die Nazis, die ihn als Halbjuden ansahen, worauf er 1934 nach China emigrierte.
Dort machte er Millionenprofite für deutsche Konzerne wie Daimler und Otto Wolff, sympathisierte abwechselnd mit Chiang Kai-shek und Mao Tsetung, übertrieb es dann mit seinem Abenteurertum und strotzendem Selbstbewusstsein, worauf er prompt für fünf Jahre in einem chinesischen Gefängnis landete. Heraus kam er als lupenreiner Maoist.
Ein Buch wie ein Abenteuerroman
Das Buch, das auf zahlreichen historischen Quellen beruht, mutet über weite Strecken wie ein Abenteuerroman an. Mit dem Unterschied, dass es von der Wirklichkeit geschrieben wurde: Ein Agent verwandelt sich in einen Kaufmann und bleibt die ganze Zeit über Maoist.
Geschäftstüchtigkeit und konspirative Fähigkeiten weiß Gerhard Flatow bestens miteinander zu verbinden; insbesondere tut er sich hervor als äußerst enger Mitarbeiter von Otto Wolff von Amerongen, der grauen Eminenz des deutschen Osthandels und Leiter des „Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft“, zugleich einer der einflussreichsten Unternehmer der Adenauer- und Erhard-Zeit.
Mit Geschäftspartnern wie Otto Wolff spricht Flatow wie ein knallharter Kapitalist, mit chinesischen Kommunisten wie ein überzeugter Sympathisant Maos. Gestört hat das offenbar niemanden. Seine große Zeit hat der erfahrene China-Kenner Gerhard Flatow Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre.
Eine Querfront von ganz Rechten und ganz Linken scheint es unter den Unterstützern Chinas schon in den fünfziger Jahren gegeben zu haben. Durch seine arrogante Eigenwilligkeit verdirbt es sich Flatow allerdings mit Otto Wolff von Amerongen; seit Mitte der sechziger Jahre ist er deshalb weniger als Manager denn als Organisator von maoistischen Kleingruppen tätig.
Ein wandlungsreiches Leben, präzise geschildert
Bernd Ziesemer beschreibt all diese Wendungen und Wandlungen mit hoher Präzision. Er nennt zahlreiche Namen, etwa den von Berthold Huber, des späteren IG-Metall-Chefs und früheren Funktionärs des Kommunistischen Arbeiterbundes Deutschland KABD – und als solcher Bewunderer von Gerhard Flatow, der diese maoistische Kleinpartei mitgegründet hatte.
Ein äußerst vielfältiges Buch also, an dem allenfalls der Untertitel, den der Campus-Verlag gewählt hat, zu kritisieren wäre. Da heißt es nämlich „Wie China die Bundesrepublik eroberte“. Solche Übertreibungen wären nicht notwendig gewesen, das Buch ist auch so spannend genug.