Im ersten Band werden sie und ihr Team mit einer Anschlagserie von Ökoterroristen konfrontiert. Aktuell, brisant und spannend - Arne Dahl in Bestform.
Der Stahlkonzernmanager Alf Stiernström rast in seinem BMW auf der Schnellstraße zur Arbeit. Genüsslich zeigt er einem von diesen „Klimadeppen“ im kleinen E-Auto den Mittelfinger. Plötzlich geht Stiernströms Wagen in Flammen auf, rast wie ein Feuerball auf ein Rapsfeld.
Mit viel Tempo steigt der schwedische Bestseller-Autor Arne Dahl in seinen neuen Kriminalroman „Stummer Schrei“ ein. Kurz darauf explodiert auch noch eine Paketbombe in einer Stockholmer Werbeagentur und sprengt den Besitzer in die Luft. Zuletzt hat er eine Kampagne für die Automobilindustrie entworfen.
Anschlag militanter Klimaaktivisten als explosiver Auftakt
Bei der Stockholmer Kommissarin Eva Nyman trifft derweil ein Bekennerschreiben ein: Offenbar stecken militante Klimaaktivisten hinter den Anschlägen. Aber nicht nur das: In den Formulierungen erkennt Eva Nyman ihren alten Chef Lukas Frisell wieder. Nach einem beruflichen Desaster hatte er sich in die schwedischen Wälder zurückgezogen, um im Einklang mit der Natur zu leben. Hat er sich dort radikalisiert?
Mit vier ausgewählten Vertrauten bildet Eva Nyman das vorerst provisorische NOVA-Team und übernimmt die Ermittlungen. „Stummer Schrei“ ist der Auftakt zu einer neuen Krimi-Reihe. Damit kennt sich Arne Dahl aus: 25 Jahre ist es her, dass er mit dem sensationellen „Misterioso“ die Krimi-Bühne betrat. Das war der erste Band um die sogenannte A-Gruppe – eine Sonderermittlungsgruppe bei der schwedischen Polizei.
Formal war diese Reihe deutlich an den Klassiker der schwedischen Kriminalliteratur angelehnt: Von 1965 bis 1975 erschien der zehnteilige schwedische Kriminalromanzyklus „Roman über ein Verbrechen“ von Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Im Mittelpunkt stand nicht mehr ein einzelner genialer Ermittler, sondern eine Polizistengruppe, die es mit gesellschaftlich aktuellen Fällen zu tun bekommt.
Nach A-Gruppe und OpCops kommt jetzt die Sondereinheit NOVA
Der Zehnteiler war damals ein weltweiter Erfolg, der die Welle sozialkritischer Kriminalromane begründete. Auch Arne Dahl plante 1999 ursprünglich zehn Teile mit der A-Gruppe. Doch nach dem guten Auftakt wurden die Bücher immer länger, die Fälle aufgeblasener und schließlich wich er von dem Konzept ab: Am Ende überführte er einige Mitglieder der A-Gruppe sogar in die OpCop-Gruppe – eine Art europäisches Spin-off, das sich zwar gut verkaufte, aber nicht so recht zündete.
Danach schrieb Dahl noch eine fünfteilige Reihe um das Ermittlerduo Sam Berger und Molly Blom, die diesen Trend zum Übertreiben fortsetzte. Kommerziell erfolgreich war er damit. Kriminalliterarisch aber verschwand er im schwedischen Krimi-Allerlei.
Die gute Nachricht: Der Öko-Krimi „Stummer Schrei“ ist trotz des klischeehaften Thrillertitels eine Rückkehr zu altem Können.
Neues Ermittlerteam um Eva Nyman
Schon das Figurenensemble ist sorgsam erstellt: Eva Nyman ist um die 50, angenehm pragmatisch und teamorientiert. Die übrigen Teammitglieder – zwei Frauen und zwei Männer – sind kompetent und erfahren. In ihrer gemeinsamen Vergangenheit ist etwas vorgefallen.
Was genau, bleibt vorerst im Dunkeln. Jede Figur hat persönliche Schwierigkeiten, darunter Alkoholsucht, Trauer, alte Verletzungen, Rachegedanken und Vorurteile. Das bietet ausreichend Geheimnisse und Reibungsfläche für kommende Bände.
Akribisch und spannend werden die schwierigen kleinteiligen Ermittlungen rund um eine Gruppe radikalisierter Klimaschützer erzählt: Beständig muss das NOVA-Team in seinen Ermittlungen neu ansetzen, weil die Nachforschungen ins Leere laufen. Sicherlich ist die größte falsche Fährte am leichtesten zu durchschauen – zumal dahinter ein altbackenes Motiv steckt –, aber die Spannung mindert das nicht.
Der Hauptgrund: „Stummer Schrei“ ist multiperspektivisch erzählt. In den kurzen Kapiteln werden abwechselnd verschiedene Spuren verfolgt, so dass eine Gleichzeitigkeit entsteht: Mal geht es um Lukas Frisell, mal um neue Bombendrohungen. Insbesondere bei den Actionsequenzen zeigt das Potential dieser Erzählweise: Alle Team-Mitglieder machen sich zu demselben Ziel auf verschiedenen Wegen auf.
Indem beständig zwischen ihren Perspektiven gewechselt wird, zieht Dahl die Spannung weiter an. Das Timing stimmt perfekt. Sehr filmisch gedacht, literarisch gut umgesetzt. Am Ende ein fieser Cliffhanger, nach dem man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Arne Dahl weiß also noch, wie man es macht.