Feierliche Übergabe der Welterbe-Urkunde durch Bundespräsident Steinmeier
Es ist ein Tag ganz im Gedenken an die jüdische Tradition in Mitteleuropa. Mit einem Besuch auf dem „Heiligen Sand“ in Worms, dem ältesten jüdischen Friedhof Europas, würdigen der Bundespräsident und die UNESCO-Generaldirektorin am Vormittag die bedeutenden jüdischen Kulturzentren am Rhein. Höhepunkt der Feierlichkeiten ist die Übergabe der Welterbe-Urkunde an die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreier.
Was hat sich seit der UNESCO-Auszeichnung für den Erhalt der SchUM-Städten getan?
Mit den SchUM-Städten wurde 2021 im chinesischen Fuzhou die 50. deutsche Welterbestätte in die Liste der UNESCO aufgenommen. Es ist zugleich die erste Welterbestätte, die die Bedeutung des jüdischen Erbes auf deutschem Boden herausstellt.
„Der Titel gibt uns die Möglichkeit, dieses Erbe weltweit bekannter zu machen“, sagt Felix Tauber, Geschäftsführer des Vereins SchUM-Städte. „Nur was man kennt, ist man auch bereit zu schützen“, so Tauber im Interview mit SWR2.
Martina Conrad warf 2020 im Vorfeld der Anerkennung durch die UNESCO einen Blick auf das jüdische Erbe am Rhein:
Die Orte, an denen das europäische Judentum entstand
Unter den Kaisern der Salier und Staufer entwickelten sich die drei freien Städte Mainz, Worms und Speyer zu zentralen Machtzentren. Jüdische Kaufleute siedelten sich in den Zentren am Rhein an, da der Fluss ihnen einen guten Zugang zum Überseehandel bot.
Der Wohlstand der Kaufleute und die relative Freiheit, die den Gemeinden durch die Kaiser gewährt wurde, ließen das jüdische Leben florieren. In den drei Städten entstanden die wichtigsten Talmudschulen (Jeschiwot) des Abendlandes. Sie zogen Schüler und Gelehrte aus ganz Europa an. Die SchUM-Städte galten für das Judentum lange Zeit als ähnlich bedeutsam wie Jerusalem.
Dank ihrer überregionalen Bedeutung wurden die SchUM-Städte zur Wiege des aschkenasischen Judentums, dessen Einflussgebiet sich bis nach York, Venedig und Budapest erstreckte. Bis heute prägen vor tausend Jahren von SchUM-Gelehrten verfasste Verordnungen, Gebete und Klagelieder das europäische Judentum.
Besondere Bedeutung wird noch immer dem Andenken an Rabbi Schlomo ben Jizchak, kurz Raschi, zuteil. Um 1040 in Troyes geboren, zog er nach Mainz und Worms, um an deren berühmten Talmudschulen zu lernen. Besonders mit der Jeschiwa von Worms blieb Raschi zeitlebens verbunden. Raschis Kommentare über die heiligen Schriften werden auch heute noch studiert und gelten gerade unter orthodoxen Jüd*innen als zentrale Auslegungen.
Was Sie heute noch sehen können vom mittelalterlichen Welterbe der SchUM-Städte
In Speyer ist im sogenannten „Judenhof“ das jüdische Ritualbad, die Mikwe, erhalten. Die um 1120 im romanischen Stil erbaute Mikwe gilt als die älteste ihrer Art in Europa. In der direktem Umgebung sind noch Überreste der 1104 errichteten Synagoge und der Frauenschule (13. Jahrhundert) zu sehen. Erst in den 1990er-Jahren wurden die Fundamente der Speyrer Jeschiwa ausgegraben.
Die ältesten erhaltenen Grabsteine auf dem „Heiligen Sand“ in Worms werden auf Mitte des 12. Jahrhunderts datiert. Die Wormser Synagoge mit der angeschlossenen Frauenschule wurde 1034 geweiht und insgesamt viermal zerstört, zuletzt infolge der Nazi-Pogrome 1938. Auch in Worms ist eine Mikwe aus dem 12. Jahrhundert erhalten.
Der Mainzer „Judensand“ stammt wie der Wormser Friedhof aus dem 11. Jahrhundert und ist das einzige erhaltene Zeugnis des jüdischen Mainz des Mittelalters. Als jüdisches Zentrum in Mainz fungiert heute die 2010 eingeweihte Neue Synagoge des Architekten Manuel Herz.