Gespräch

Verstorbener Nobelpreisträger Kissinger - verklärt zur Lichtgestalt?

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Interview
Astrid Tauch

Der frühere US- Außenminister und Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger ist im Alter von 100 Jahren in Connecticut gestorben.

Die politische Bilanz von Henry Kissinger als nationaler Sicherheitsberater und US-Außenminister sei maßlos überschätzt, so der Historiker und Buchautor Bernd Greiner. Zu seiner Glorifizierung habe er auch selbst beigetragen mit unzähligen Büchern und Memoiren.

Kissinger sei zwar maßgeblich an der Entstehung des Rüstungskontrollvertrags SALT 1972 beteiligt gewesen. Aber der hätte sich nicht sehr von den unter Kennedy oder später Johnson gesetzten Impulsen unterschieden. „Und bei der als Jahrhundertleistung apostrophierten Öffnung nach China hatte die chinesische Führung unter Mao gleichermaßen Anteil“, so Greiner.

Porträt Henry Kissinger – Machtpolitiker und US-Stratege

Henry Kissinger hat die US-amerikanische Außenpolitik wesentlich geprägt. Auch im Alter von 100 Jahren hat er nicht aufgehört, Politik zu machen. Ist er ein weltpolitisches Genie oder doch eher ein geschickter Hüter des amerikanischen Imperiums? Dieses Porträt ist eine Produktion anlässlich seines 100. Geburtstags im Mai 2023. Henry Kissinger starb am 29. November 2023.

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Kissingers Rolle beim Militärputsch in Chile war größer als dargestellt

Zu Kissingers maßgeblicher Rolle beim Militärputsch in Chile 1973 sagt Greiner: „Es wurde später so dargestellt, als sei Nixon der Alleinverantwortliche. Aber Kissinger hat den Präsidenten gedrängt, direkt nach der Wahl von Salvador Allende ins Präsidentenamt alles dranzusetzen, diese Regierung aus dem Amt zu drängen und notfalls zu beseitigen durch einen Militärputsch“.

Dahinter habe eine Ideologie aus dem kalten Krieg gestanden, die besagt: wenn ein linker Präsident in Chile ans Ruder kommt, infiziert es den gesamten restlichen Kontinent. Das habe sich Amerika nicht leisten können.

Friedensnobelpreis für Kissinger „mehr als grenzwertig“

Dass Kissinger 1973 den Friedensnobelpreis für die Waffenstillstandsverhandlungen im Vietnamkrieg erhalten habe, sei mehr als grenzwertig gewesen. „Auch und gerade er hat dazu beigetragen, dass der Krieg um Jahre hinaus verlängert wurde“, sagt Greiner.

„Der Waffenstillstand 1973 wurde zu Bedingungen abgeschlossen, die man bereits Jahre zuvor hätte haben können. Kissinger hat den Krieg in die Länge gezogen, weil er nicht den Eindruck vermitteln wollte, dass die USA dem Druck der Vereinten Nationen oder der Sowjetunion beigegeben haben. Das hat mehrere Millionen Menschen das Leben gekostet“, so Greiner.

Ein begnadeter Impressario seiner selbst

Kissinger habe immer alle Erfolge seiner Amtszeit auf das eigene Konto gutgeschrieben, Fehlschläge wurden anderen zugeschoben, sagt Greiner: „Er war ein begnadeter Impressario seiner selbst und er wusste, wie man medial die eigene Person glorifiziert. Journalisten haben ihm aus der Hand gefressen, denn er war humorvoll, geistreich und er konnte Leuten das Gefühl vermitteln, dass außer ihm niemand die Materie hinreichend durchdrungen hatte“.

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Astrid Tauch