„Damit die Welt weiß, dass es solche Menschen gab“

Eleanor Reissa und die Stolpersteine ihrer Familie: Einsatz gegen das Vergessen

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Autor/in
Theresa Berwian
Theresa Berwian, Team SWR Kultur

„Mein ganzes Leben lang war ich auf der Reise hin zu diesem Moment“, sagt die amerikanische Schauspielerin („Die Zweiflers“), Sängerin und Autorin Eleanor Reissa. In Stuttgart wohnte die Tochter zweier Holocaust-Überlebender der Verlegung von Stolpersteinen für ihre Familie bei. Ihr jüdisches Erbe begleitet die Künstlerin nicht zuletzt in ihrer Kunst.

Vater, Mutter und Tochter wurden von den Nazis deportiert

Es ist ein besonderer Tag für Schauspielerin Eleanor Reissa: Vor der Silberburgstraße 88 in Stuttgart-West werden Stolpersteine für ihren Vater, seine erste Frau und die beiden gemeinsamen Kinder verlegt. Es war der letzte Wohnort der Familie in Stuttgart, die vier Steine sollen an ihre Schicksale erinnern.

Der Sohn der Familie, Heinrich Schlüsselberg, wurde Ende der 1930er-Jahre mit einem Kindertransport nach England geschickt und überlebte dort den Weltkrieg. Vater, Mutter und Tochter wurden von den Nazis deportiert. Nur der Vater, Chaskel Schlüsselberg, überlebte das Vernichtungslager Auschwitz und den Todesmarsch 1945, bevor er im KZ Buchenwald durch die US Army befreit werden konnte.

Nach dem Krieg lernte Schlüsselberg in Ulm seine zweite Frau kennen. Beide emigrierten in die USA und lebten schließlich in New York. Dort wurde Eleanor Reissa 1953 geboren.

Stolperstein für die Familie der Schauspielerin Eleanor Reissa
Jahrelang verfolgt Eleanor Reissa ihre Familiengeschichte. Die Spur führt sie nach Stuttgart, wo ihr Vater Chaskel Schlüsselberg vor dem Holocaust lebte.

Erfolgreiche Bühnen-Karriere in den USA

Dass ihre Wurzeln teilweise in Stuttgart liegen, wusste Reissa viele Jahre nicht. In den USA steht sie seit Ende der 1970er-Jahre als Schauspielerin und Sängerin auf der Bühne.

Außerdem hat sie als Regisseurin und Choreografin zahlreiche Stücke am Broadway in Szene gesetzt. Für ihre Inszenierung von „Those Were the Days“, einer englisch-jiddischen Musical-Revue, war Reissa 1991 sogar für den renommierten Tony Award nominiert.

Darüber hinaus schreibt sie auch Theaterstücke und tritt als Sängerin auf, vor allem auf Jiddisch. Da in ihrer Familie nur Jiddisch gesprochen worden sei, bezeichnet Eleanor Reissa sie auch als ihre Muttersprache. Auch in ihrer Rolle als Lilka Zweifler in der preisgekrönten ARD-Serie „Die Zweiflers“ spricht Reissa vor allem Jiddisch.

Mit Liebesbriefen ihres Vaters begann die Recherche

Deutsch hatte die Schauspielerin nie gelernt. Deshalb konnte sie mit den Briefen, die ihr Vater ihrer Mutter nach dem Krieg geschrieben hatte, auch anfangs nur wenig anfangen. Eleanor Reissa fand die Briefe nach dem Tod ihrer Mutter Mitte der 1980er-Jahre in deren Wäscheschrank.

Erst dreißig Jahre später ließ Reissa die Briefe übersetzen und war tief berührt von der Sprache ihres Vaters: „In New York arbeitete er in einer Fabrik, sprach schlecht Englisch, und ich dachte, er ist ein Looser“, erinnert sich die Schauspielerin. „Aber diese Briefe auf Deutsch waren so poetisch und ich dachte: ‚Wer hat das geschrieben?‘“

„The Letters Project“: Ein Buch über die Reise in die Vergangenheit

Die Briefe waren für Eleanor Reissa schließlich der Beginn einer Recherche der eigenen Familiengeschichte in verschiedenen Archiven und in Stuttgart, wo ihr Vater lebte. Hier arbeitete er als Kaufmann und hatte ein kleines Geschäft. Als Eleanor Reissa zum ersten Mal nach Stuttgart reiste, blieb sie nur wenige Tage. Sie fühlte sich aber direkt zu Hause, erzählt sie.

Ich wusste nicht, dass ich eine Halbschwester habe.

Von ihrer Halbschwester und der ersten Frau ihres Vaters erfuhr die amerikanische Schauspielerin auch erst durch ihre Recherchen. „Ich war geschockt. Er hat nie von ihnen gesprochen“, sagt Reissa. Über ihre Reise in die Vergangenheit hat die Schauspielerin schließlich auch ein Buch geschrieben, „The Letters Project: A Daughter’s Journey“.

Schauspielerin Eleanor Reissa bei der Stolpersteinverlegung in Stuttgart
Schauspielerin Eleanor Reissa (2. von links) nimmt an der Stolpersteinverlegung für ihren Vater und dessen erste Familie teil.

Schon viele Jahre hat Eleanor Reissa immer wieder über ihre Familie geschrieben, auch Theaterstücke. Sie wollte nicht, dass ihre Eltern anonym bleiben, das habe sie angetrieben, sagt Reissa. „Ihr Leben war schrecklich. Deshalb wollte ich immer über sie sprechen, damit die Welt weiß, dass es solche Menschen gab.“

Familien-Andenken in ARD-Serie „Die Zweiflers“

Um ihnen eine besondere Ehre zu erweisen, wurden Fotos ihrer Familie auch Teil der Serie „Die Zweiflers“, die von einer jüdischen Familie mit einem Delikatessen-Imperium in Frankfurt handelt. Darin spielt Reissa die Großmutter der Familie, die wie der Vater der Schauspielerin eine Auschwitz-Überlende ist.

Szene  aus der ARD-Serie "Die Zweiflers": Für den Berliner Musikmanager Samuel Zweifler (Aaron Altaras) verbindet sich mit seinem Jüdischsein vor allem: Zuhause!
Der Berliner Musikmanager Samuel Zweifler (Aaron Altaras) verbindet mit seinem Jüdischsein vor allem: Zuhause! Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
In Frankfurt betreibt seine Familie eine Deli-Kette, deren Stammhaus zum multikulturellen Bahnhofsviertel gehört wie auch das nahegelegene Rotlichtmilieu. Symcha (Mike Burstyn, re.) erzählt seinem Enkel Samuel (Aaron Altaras, li.) von der Tradition des Feinkostgeschäfts. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Bei einem Treffen mit Freunden lernt Samuel die Szene-Köchin Saba (Saffron Coomber) kennen – und verliebt sich. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Saba (Saffron Coomber) wird von Samuels (Aaron Altaras) Familie überschwänglich herzlich aufgenommen. Als sie schwanger wird, plant ihre Schwiegermutter Mimi über Sabas Kopf hinweg bereits das Beschneidungsfest. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Enkel Leon (Leo Altaras) bringt bei der Vernissage seiner gehypten Ausstellung mit einem provokanten Familienporträt alle auf die Palme. Bild in Detailansicht öffnen
Still aus der ARD-Srie "Die Zweiflers"
Bei den Zweiflers hängt daraufhin der Haussegen schief. Mimi (Sunnyi Melles), Jackie (Mark Ivanir), Symcha (Mike Burstyn), Lilka (Eleanor Reissa), Saba (Saffron Marni Coomber) und Samuel (Aaron Altaras). Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Samuel macht sich Sorgen um seine Oma Lilka (Eleanor Reissa, re.). Sie hält geheim, wie es um ihre Gesundheit steht. Ein Besuch beim Arzt bringt eine traurige Gewissheit, die Samuel jedoch für sich behalten muss. Bild in Detailansicht öffnen
Szene  aus der ARD-Serie "Die Zweiflers": Mutter Mimi (Sunnyi Melles) hat jetzt die Gewissheit über eine Affäre ihres Mannes Jackie (Mark Ivanir).
Und auch die Ehe seiner Eltern läuft nicht rund: Seine Mutter Mimi (Sunnyi Melles) hat jetzt die Gewissheit über eine Affäre ihres Mannes Jackie (Mark Ivanir). Bild in Detailansicht öffnen

Ihre Rolle der Lilka Zweifler brauchte also eine Häftlingsnummer, die den KZ-Gefangenen in der Regel auf den Arm tätowiert worden war. Eleanor Reissa schlug vor, die Nummer ihres Vaters für die Rolle zu nehmen. „Ich dachte, so hat die Nummer wenigstens einen Zweck. Ich trage sie sowieso in mir, also kann ich sie auch auf meiner Haut tragen“, sagt die Schauspielerin.

Mit den vier neuen Stolpersteinen in Stuttgart wurde den Schicksalen der Familie Schlüsselberg jetzt ein weiteres, bleibendes Andenken gesetzt – ein Mahnmal gegen das Vergessen.

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„Die Zweiflers“ mit Eleanor Reissa

Serie in der ARD Mediathek „Die Zweiflers” – Großartige Dramedy-Serie über jüdische Familie in Frankfurt

Familienoberhaupt Symcha Zweifler will das Delikatessen-Geschäft der Familie verkaufen. Die Serie von David Hadda verbindet hochaktuelle Fragen mit Humor und jiddischer Kultur.

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