Definitiv kein Export-Schlager

Als die Woche zehn Tage hatte: Der Revolutionskalender in Worms

Stand
Autor/in
Hannegret Kullmann
Hannegret  Kullmann, Autorin bei SWR Kultur

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Die Französische Revolution 1789 bedeutet eine echte Zeitenwende. Plötzlich haben die Bürgerinnen und Bürger das Sagen und nicht mehr Adel und Kirche. Das drückt sich auch in einer neuen Zeitrechnung aus: Die Franzosen erfinden einen Revolutionskalender, der sich sogar bis nach Worms ausbreitet.

Die Ideale der französischen Revolution stoßen auch in Deutschland auf Sympathie. Als die Franzosen während der Revolutionskriege das Rheinland besetzen, bringen sie viele republikanische Ideen mit. Und so wird auch in Worms im November 1792 erstmals ein Freiheitsbaum aufgestellt.

Auf einem Gemälde aus den 1790er Jahren tanzen Menschen im Rheinland um einen Freiheitsbaum
Tanz um den Freiheitsbaum während der französischen Besatzung des Rheinlandes (zeitgenössisches Gemälde).

Die Revolutionäre entmachten die Kirche. Von ihrem jahrhundertelangen Einfluss wollen sie sich unter anderem durch eine neue Zeitrechnung befreien: Der neue republikanische Kalender gilt offiziell ab September 1792. Er hat keine christlichen Feiertage mehr, und eine Woche hat nun nicht mehr sieben, sondern zehn Tage.

Der Revolutionskalender steht für den Epochenwandel

Der neue Kalender vermerkt markante Revolutionsereignisse. Außerdem werden die Wochentage umbenannt. Die zwölf Monate bekommen Namen aus der Natur und folgen damit dem bäuerlichen Leben. Sie heißen nun zum Beispiel Floréal (Blumenmonat), Fructidor (Fruchtmonat) oder Ventôse (Windmonat).

Kalenderblatt mit den neuen Monatsnamen und Wochentagen des Revolutionskalenders
Der neue Revolutionskalender auf einen Blick: Calendrier perpétuel von Fabre d'Églantine.

Der republikanische Kalender wirbelt den Alltag der Menschen durcheinander, nicht nur im französischen Kernland, sondern auch im besetzten Worms, das ab 1797 im Département du Mont-Tonnerre liegt.

Die Markttage müssen verlegt werden, der Handel mit dem Ausland wird komplizierter und wegen der neuen Zehn-Tage-Woche müssen alle länger arbeiten: denn eine Pause gibt es erst am zehnten Tag, dem Decadi.

Der neue Dekadenkult ersetzt christliche Riten

Am Decadi, dem neuen Ruhetag, müssen sich alle Bürgerinnen und Bürger, auch die Schulkinder in den neu ernannten Dekaden-Tempeln treffen. Das sind meistens umfunktionierte Gotteshäuser, wie zum Beispiel die Dreifaltigkeitskirche in Worms. Hier versammelt man sich, um neu gefasste Beschlüsse zu verlesen und republikanische Lieder zu singen.

Außenansicht der Dreifaltigkeitskirche Worms vom Marktplatz her
Auch die Dreifaltigkeitskirche in Worms diente in der Franzosenzeit als Dekaden-Tempel.

Die Revolutionäre treiben die Idee der Zeitenwende sogar noch weiter und entwickeln eine neue Uhr, die dem Dezimalsystem folgt: Ein Tag hat zehn Stunden, eine Stunde 100 Minuten und eine Minute 100 Sekunden. Das scheint konsequent, zumal ab 1794 auch dezimale Maß- und Währungseinheiten gelten.

Eine Doppeluhr mit Dezimaluhr und gewöhnlicher Uhr, im Hintergrund eine Frau mit Jakobinermütze
Oben die gewohnte, unten die neue Dezimaluhr: So sollten sich die Bürger der französischen Repblik an die neue Zeitrechnung gewöhnen.

Sowohl die Dezimaluhr als auch der republikanische Kalender sind in der Bevölkerung unbeliebt und können sich nicht durchsetzen. Napoleon schafft sie 1806 endgültig wieder ab.

Die neue Zeitrechnung währt also nur kurz, ganz anders als andere demokratische und freiheitliche Ideen der Französischen Revolution – sie bilden bis heute die Basis unserer Gesellschaft und unserer Verfassung.

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