Zwischen Rebellion und Tradition

Tracht, Fetisch, Fashion-Piece – Die vielen Facetten der Lederhose

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Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt

Vor 30 Jahren musste man bei Volksfesten wie dem Cannstatter Wasen lange nach Lederhosen suchen. Der Trachtenlook ist erst seit den 1990er-Jahren bei jungen Leuten en vogue. Dabei ist die vermeintliche uralte Alpenländer Traditionskleidung eine Erfindung des 19. Jahrhunderts – aus Frankreich, nicht aus Bayern.

Schon Ötzi hat sie getragen

„Ein Werk Satans“ – so bezeichnete der Freisinger Bischof 1913 die Lederhose. Mit ihren nackten Beinen, so wütete der Gottesmann, würden die Träger ihre Lüsternheit pflegen.

Die Lederhose hat als Teil der Tracht aber immer zu Bayern gehört. Oder nicht?

Schon der Mann aus dem Eis, Ötzi, soll sich in Leder gehüllt haben. Es bietet sich ja auch an. Tierhaut ist stabil, widerstandsfähig und geschlachtet wird auch immer. Früher gab es in jedem kleinen Ort einen Gerber.

Nicht aus Bayern, sondern aus Frankreich

Erfinderin der kurzen Lederhose ist aber mitnichten die bayrische Landbevölkerung, sondern Erfinder sind – wie so oft – die Franzosen. Die hüllten sich im 18. Jahrhundert gern in die sogenannte Culotte, eine Kniebundhose, die den Unterschenkel für schicke Strümpfe freilässt.

Aber: die Lederhose, wie sie heute durchs Festzelt tanzt, ist nicht, wie viele glauben, aus der Arbeitskleidung der Bauern entstanden – viel zu teuer. Und unpraktisch: nach der Arbeit bei Regen auf dem Feld droht in der pitschnassen Lederhose eine Blasenentzündung.

Nur vermeintlich „uralte Tracht“

Der Adel und Großbauern tragen gerne Lederhosen – bis im Laufe des 19. Jahrhunderts das Material dann aber vom Loden verdrängt wird und Stammtischfreunde aus Oberbayern den Untergang der vermeintlich „uralten Tracht“ stoppen wollen. 

Die Lederhose
Ein bisschen hat der angesagte Trachtenlook auf Volksfesten auch mit Aufbegehren gegen die Eltern zu tun – denn noch bis in die 1990er Jahre galten Trachten als verpönt.

Sie gründen den ersten bayrischen Trachtenverein und müssen für ihre Ledershorts erst einmal viel Spott über sich ergehen lassen. Aber sie bekommen prominente Unterstützung: Der bayrischen König Ludwig II hat ein Trachtenfaible und setzt durch, dass überall Vereine zur Erhaltung der Tracht gegründet werden sollen.

Alpentourismus kurbelt Verkauf an

Nach dem ersten Weltkrieg wird die Lederhose dann endgültig zum Verkaufsschlager, weil durch den neuen Alpentourismus immer mehr Sommerfrischler ein Exemplar mit nachhause nehmen. 

Unter den Nationalsozialisten muss die Lederhose aus den Alpenregionen als gesamtdeutsche Nationaltracht herhalten. In der Nachkriegszeit wird sie vor allem von Schuljungen getragen.

Erst die Jeans kann die Lederhosen aus den Klassenzimmern bannen – auch wenn die Eltern davon nicht so begeistert sind. 

Die schwarze Lederhose wird Subkultur

Ihre Bedeutung wandelt sich. Die Rock’n’Roll Welle macht eine ganz andere Lederhose populär: lang, schwarz und am besten in Kombination mit einer Lederjacke.

Zwei Frauen von hinten mit Hosen, Hot Pants und Jacken aus schwarzem Leder
Der Rock’n’Roll machte eine ganz andere Lederhose populär: lang, schwarz und am besten in Kombination mit einer Lederjacke.

Plötzlich denkt ein Großteil beim Stichwort „Lederhose“ nicht mehr an Schuhplattler, sondern an Subkultur. Auch die Punk- und Metal-Szene findet Gefallen an der Lederkluft. 

Fashion-Piece dank Françoise Hardy

Dass eine teure Lederhose gerade auch für Frauen – laut Fashion-Regelwerk – in jeden gut sortierten Kleiderschrank gehört, hat seine Wurzeln sicher auch schon in den 1960er Jahren. Da inspiriert die motorradbegeisterte Sängerin und Schauspielerin Françoise Hardy – natürlich wieder aus Frankreich – nicht nur Musikgrößen wie Bob Dylan und Mick Jagger, sondern auch die Modemacher. 

Seit Jahren wandert die Lederhose in unterschiedlichen Farben und Formen über die Laufstege. Mal verrucht erinnert sie an die Fetischszene, dann ist sie wieder elegant in Velours und taucht im nächsten Jahr im rustikalen Motorrad-Komplett-Look wieder auf.

Auf den Volksfesten erst seit den 1990ern en vogue

Ein bisschen hat der Trachtenlook auf Wiesn oder Wasen auch wieder mit Aufbegehren gegen die Eltern zu tun. Vor knapp 30 Jahren hätte man bei den Volksfesten länger nach Lederhosen oder Dirndl suchen müssen.

Kleid, Kostüm und Anzug war da beim Bierhumpen stemmen angesagt. Erst Mitte der 90er greift der Trend um sich – von einer Generation, die sich nicht mehr so stark von den Eltern, den Traditionen und dem als altbacken Verschrienen abgrenzen muss.

Eine erfundene Tradition

Die Jugend erobert die Volksfeste. Es wird nicht mehr zur Blasmusik geschunkelt, sondern zu Charthits – und ganz klar, auch die Politiker erkennen, dass sie in Lederhosen jetzt eine neue Wählerschaft ansprechen können. Zack: Die Tracht wird zum politischen Werkzeug – eine erfundene Tradition.

Eines ist sicher: die Lederhose, egal in welcher Form, wird immer zwischen den Extremen stehen: der Rückwärtsgewandtheit und der Rebellion.

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