Europawahl 2024

Rechtsruck wegen Dauerkrise? Warum deutsche Jugendliche Populisten wählen

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Autor/in
Giordana Marsilio
Giordana Marsilio

Seit Jahren leben Jugendliche im Krisenmodus: Corona-Pandemie, Altersarmut, Kriege, Klimakrise, Inflation. In instabilen Zeiten scheinen die etablierten Parteien keine klare Zukunftsvision anzubieten. Die AfD erreicht Jugendliche mit einfachen Antworten und emotionalisierter Rhetorik, dort wo sie sich aufhalten: auf TikTok.

Regierungsparteien verlieren die Gunst der Wähler

Alles, nur nicht die Regierungsparteien – das kann man aus den Ergebnissen der Europawahl 2024 in Deutschland ablesen. Mit 23,7 Prozent behauptet sich die Union bundesweit als stärkste Kraft, die AfD landet mit 15,9% in der Wählergunst weit oben und überholt SPD und Grüne.

Zum ersten Mal durften in Deutschland auch Jugendliche ab 16 Jahren wählen. Das wurde unter anderem vehement von den Grünen gefordert, da die Partei 2019 bei den Erstwählerinnen und Erstwählern große Zustimmung bekommen hatte.

Das Vertrauens in das politische System ist verloren

Doch nun belegen die Ergebnisse der Europawahl, dass die etablierten Parteien des linken Spektrums die Jugendlichen nicht mehr überzeugen konnten. „Es ist aber keine direkte parteibezogene Abwendung“, erklärt Kilian Hampel, Politologe an der Universität Konstanz und Mitautor der im April 2024 veröffentlichten Studie „Jugend in Deutschland“. Viel mehr hätten die Jugendlichen „ihr Vertrauen in das ganze politische System verloren“.

Die Studie habe gezeigt, dass junge Menschen sich mit existentiellen Ängsten konfrontiert sehen: Altersarmut, Krieg, Klimakrise, Inflation und andere finanzielle Probleme. Ein Fünftel der Befragten, mehr als 2.000 Jugendliche, gaben an verschuldet zu sein, erklärt Hampel.

Dass die Jugendlichen in Deutschland aufgrund aller Krisen besorgter denn je sind, bestätigt auch die aktuelle Sinus-Studie „Wie ticken Jugendliche?“, die am 12. Juni 2024 in Berlin vorgestellt wurde.

Forum AfD statt Greta - Wie wählt die Generation Tik Tok?

Bernd Lechler diskutiert mit
Baris Ertugrul, Sozialisations¬forscher, Uni Bielefeld
Kilian Hampel, Jugendforscher
Dr. Anna-Sophie Heinze, Politikwissenschaftlerin, Uni Trier

Forum SWR Kultur

Auf TikTok ist die AfD ein „First Mover“

Seit der Corona-Pandemie fühlen sich deutsche Jugendliche im ständigen Krisenmodus, der nicht aufzuhören scheint. „Das sind Menschen, die gerade Alarm schlagen, die aber nicht wirklich gehört werden und die sich jetzt der AfD zugewendet haben“, so Hampel. Vor allem sei die Rhetorik der AfD dabei entscheidend: Die Partei verwende in ihrer Kommunikation einfache und eindeutige Worte. Populistische Aussagen suggerieren einfache Lösungen. 

Die AfD emotionalisiert in ihren Reden.

„Die AfD emotionalisiert und trifft damit die Emotionen junger Menschen. Inflation, Wohnungskrise, Migration sind Themen, die junge Menschen verunsichern“, erklärt auch Johannes Hillje, Berater für Politik und Kommunikation.

Vor allem bewegt sich die AfD auch dort, wo die Jugendlichen sind: in den sozialen Medien. „Die AfD ist auf TikTok ein sogenannter First Mover, sie hat die Plattform als erste Partei systematisch und strategisch bespielt“, sagt Hillje.

Parlamentsreden der AfD sind auf ihre Verwertbarkeit auf TikTok ausgelegt

Auch bei Debatten im Bundestag bediene sich die AfD einer polarisierenden Sprache, die provoziere und emotionalisiere, analysiert Hillje. „Das passt perfekt zur Aufmerksamkeitslogik des TikTok-Algorithmus“. Die Partei halte plattformkonforme Parlamentsreden und konstruiere dabei gezielt zugespitzte Passagen, die sich dann als kurzer Clip für TikTok eignen, so der Politikberater.

Kilian Hampel betont aber auch, dass es falsch sei, zu behaupten, die zunehmende Zustimmung für die AfD käme nur von Seiten der Erstwähler: „Die AfD ist flächendeckend in allen Altersgruppen sehr dominant“, urteilt der Politologe.

Rechtsruck: Mehr als nur ein Trend

In unsicheren Zeiten, wo der Streit unter den Regierungsparteien zum Dauerthema in den Nachrichten geworden ist, habe die AfD eine klare Linie angeboten. So konnte sie frustrierte und verunsicherte Jugendliche für sich gewinnen.  „Die Stimmungsmache der AfD trifft bei jungen Menschen auf eine Stimmung, die von Zukunftsängsten und mangelnder Anerkennung durch die etablierte Politik geprägt ist“, sagt Johannes Hillje.

Der Rechtsruck scheint kein bloßer „Social-Media-Trend“ zu sein, denn in der Studie von Kilian Hampel gaben junge Menschen an, stark politisch informiert zu sein. Nur sieben Prozent der Befragten bezeichneten sich als nicht politisch interessiert. Dennoch sei es aktuell schwer vorhersehbar, meint Hampel, wie lange der angebliche Trend anhalten werde.

Alice Weidel, Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende der AfD, und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, geben eine Pressekonferenz nach der Europawahl.
Zum ersten Mal ist die AfD die zweitstärkste Partei Deutschlands.

Sind klare Zukunftsperspektiven bis zur Bundestagswahl möglich?

Mit Sicherheit belegt die Studie, dass Jugendliche gehört werden wollen. Ihnen fehlt eine klare Zukunftsvision, mit der sich die aktuelle Situation vielleicht umkehren ließe: „Es wird aber sehr schwierig für die etablierten Parteien, das noch vor der nächsten Wahl zu tun“, sagt Hampel.

Auch Johannes Hillje ist der Meinung, man müsse davon ausgehen, dass sich junge Wähler*innen sehr bewusst für die Wahl der AfD entschieden haben. Wichtig sei aber auch: Die AfD habe bei jungen Wählenden zwar ihre größten Zugewinne gemacht, einen allgemeinen Rechtsruck der Jugend gebe es jedoch nicht, so Hillje. „Sie haben auch in großem Maße für Kleinstparteien wie Volt gestimmt.“

Werden kleinere Parteien auf langer Sicht erfolgreich?

Einige Stimmen der jüngeren Wählerschaft gingen eben an kleinere und Kleinstparteien. In der Gesamtbevölkerung seien das allerdings nur drei Prozent der Stimmen, erklärt Hampel. Bereits bei der vergangenen Europawahl hatten junge Menschen immer wieder kleinere Parteien gewählt.

Bemerkenswert sei bei den Ergebnissen der Europawahl 2024 vor allem der Abstieg der etablierten Parteien, so Hampel. In Hinblick darauf bleibe es spannend zu beobachten, „ob diese kleineren Parteien auch auf Bundesebene erfolgreich werden können.“

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. GEN Z wählt AfD: Wie gefährlich ist TikTok?

Fast ein Viertel der 14- bis 29-Jährigen würde laut einer Jugendstudie die AfD wählen – eine beunruhigende Erkenntnis, die viele Fragen aufwirft. Eine davon ist die Rolle von TikTok, wo zwei Drittel der jungen Wählerschaft aktiv sind.

Die Plattformlogik, die auf Dualismus, emotionalisierten Inhalten und komprimierten Botschaften basiert, könnte der AfD in die Hände spielen. Mit 400.000 Followern nimmt die Partei eine dominante Stellung auf TikTok ein, während andere Parteien versuchen, nachzuziehen. Doch wie kann man dort authentisch und überzeugend kommunizieren?

Diese und weitere Fragen diskutieren wir mit Marina Weisband. Sie ist Publizistin, Digitalpolitikerin, Psychologin und bekannt als ehemalige Sprecherin der Piratenpartei, Nun engagiert sie sich bei den Grünen.

Johannes Hilje, Berater für Politik und Kommunikation, betont die Wichtigkeit für andere Parteien, ebenfalls auf TikTok präsent zu sein. Ein Feld kampflos der AfD zu überlassen, sei riskant. Wichtig sei es, Emotionen zu wecken und demokratische Werte zu kommunizieren – eine Herausforderung.

Habt ihr bereits Inhalte der AfD auf TikTok gesehen? Was haltet ihr davon?
Schickt uns eure Meinungen per E-Mail an kulturpodcast@swr.de.

Host: Christian Batzlen
Showrunner: Stephanie Metzger

Links:
Marina Weisband https://marinaweisband.de/
Joannes Hilje: https://johanneshillje.de/blog/

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Meinung zur Europawahl "Die AfD kann TikTok, die anderen können Dorfschenke"

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