Zeitgenossen

Dmitrij Kapitelman: „Ich bin Demokratiedeutscher“.

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Interview
Kristine Harthauer

„Stellen Sie sich vor, es gibt eine Sprache, die Sie 85% Ihrer Lebenszeit eigentlich nur mit Ihrer Familie gesprochen haben. Die etwas ganz Warmes und Eigenes hat. Und plötzlich wird diese Sprache mit Mördern, Kriegsverbrechen und Massakern gleichgesetzt“. Ein schmerzhaftes Gefühl, mit dem sich der Schriftsteller und Journalist Dmitrij Kapitelman seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine auseinandersetzen muss.

Muttersprache wird politisch

Kapitelman ist in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine geboren, träumt und spricht auf Russisch und Deutsch. Und er lebt in der deutschen Stadt mit der größten osteuropäischen Diaspora - in Berlin. Für ihn sei es nun politische Arbeit daran zu erinnern, dass es die russische Sprache lange vor Putin gegeben hat und es sie auch noch lange nach ihm geben wird.

Das Politische im Privaten zu beschreiben, das ist ein großes Thema in Dmitrij Kapitelmans Büchern und Artikeln. Mit acht Jahren kamen er und seine Eltern als jüdische „Kontingentflüchtlinge“ nach Deutschland. In Sachsen lebten sie lange Tür an Tür mit Neonazis. Vor Neonazis mit Baseballschlägern wegrennen, Kippen auf dem Arm ausgedrückt bekommen, das war für Dmitrij Kapitelman als Jugendlicher Alltag. Und dabei wuchs in ihm die Frage an die deutsche Mehrheitsgesellschaft: „Stört euch das nicht, dass die besoffen an der Haltestelle warten, um jemanden zu verkrüppeln. Ihr seht das doch auch?“

Vom jüdischen Flüchtling zum Demokratiedeutschen

Prägende Jahre, die ihn mit Anfang dreißig dazu veranlassten, die Mühsal  der deutschen Bürokratie auf sich zu nehmen und einen deutschen Pass zu beantragen. Ein Demokratiedeutscher wollte Kapitelman werden. Jemand, der dieses Land über seine Werte und Ideale versteht und das Recht haben möchte, gegen Rechts zu wählen: „Eigentlich müsste der Verfassungsschutz mir regelmäßig Geld schicken, dafür dass ich für die demokratischen Prinzipien eintrete.“

Gespräch Dmitrij Kapitelman über Anthologie „Wir schon wieder. 16 jüdische Erzählungen“

Im Band, den Dana von Suffrin gerade herausgegeben hat, stellt sie sich vor, wie ihre 16 Autorinnen und Autoren in einem Zimmer sitzen und streiten. Einer davon: Dmitrij Kapitelman

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Dmitrij Kapitelman erzählt humorvoll und zärtlich von seinem Versuch in seiner Heimatstadt Kiew ein Deutscher zu werden und sich dabei mit seinen Eltern auszusöhnen.

Hanser Verlag Berlin, 176 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-446-26937-8

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