Es ist nicht das erste Mal, dass sich meinungsbildende Profile von der Plattform X verabschieden. Seit Tech-Milliardär Elon Musk Twitter vor zwei Jahren übernahm und zu X umbenannte, gab es immer wieder Ausstiegswellen.
Spätestens seit dem Wahlsieg Donald Trumps sehen sich Wissenschaftlerinnen, Autoren, Sportvereine, Stiftungen, Zeitungsmedien, Journalistinnen, Museen und Politiker aber angehalten, der einst wichtigen Meinungsplattform endgültig den Rücken zuzukehren. Musk als könnte als potenzieller Chefberater des zukünftigen US-Präsidenten vollends eine Propaganda-Plattform aus X machen.
International verabschiedeten sich zuletzt große Zeitungen wie „The Guardian“, und bekannte Kulturschaffende wie der Schriftsteller Stephen King.
Aktion „eXit von Twitter“
Auch im deutschsprachigen Raum kündigten 66 meinungsbildende Personen Ende November ihren „eXit von Twitter“ an, darunter Fernsehmoderatoren Dunja Hayali und Jo Schück, der Journalist Florian Klenk und die Autorin Anne Rabe. Die Plattform sei kein Ort mehr für „freie und faire Meinungsäußerung”, sondern „der Zensur, des Rassismus, Antisemitismus und des rechten Agendasettings”.
Alternativen konnten sich bisher nicht durchsetzen
Die Frage ist nur: wohin nun mit den Meinungen, Artikeln und Diskussionen?
Seit Musks Twitter-Übernahme hatten sich einige alternative Plattformen angeboten: Da gibt es Bluesky, das 2021 aus Twitter entstanden ist. Oder Mastodon, das sich seit 2016 über dezentrale Server von Nutzern organisiert. Oder Threads, für das sich Meta-Nutzer 2023 einfach ein weiteres Profil anlegen konnten.
Doch keine der Alternativen konnte sich bisher durchsetzen. Professor Wolfgang Schweiger ist Experte für Online-Kommunikation an der Universität Hohenheim. Er sieht einen Grund in der direkten Konkurrenz, in die die Alternativen miteinander getreten sind.
„Einige Nutzer haben angefangen, auf Bluesky, Mastodon und Threads gleichzeitig ihre Inhalte zu teilen. Andere waren verunsichert, für welche sie sich entscheiden sollten.“ Parallel posten oder auf eine Karte setzen, also. Beides erschien nicht als dauerhafte Lösung.
Zudem hätten viele, vor allem große Profile, weiter auf X ausgeharrt, weil sie ihre Follower dort haben – die ließen sich nicht einfach auf eine andere Plattform mitnehmen. „Solch eine Followerschaft muss man sich über sehr lange Zeit aufbauen. Bei den Alternativen ist zudem unsicher, ob sich dort je eine gleiche Dynamik entwickeln kann.“ Die „eXit“-Aktion versuchte dem zu begegnen, indem man mit einem Klick gleich allen Unterschreibern folgen konnte.
Ab wann gilt eine Plattform als relevant?
Welche Faktoren müssten aber bedient werden, dass eine neue Plattform sich langfristig etablieren kann? „Einerseits müssen die Darstellungsformen an die Zielgruppe ausgerichtet werden.“ Für Twitter war beispielsweise das Verlinken von Beiträgen wichtig – so konnte sich die Plattform im journalistischen und politischen Raum etablieren. „Zentral ist aber, so viele Menschen wie möglich erreichen zu können.“
Ab wann eine Plattform wirklich relevant ist, lasse sich dabei nur schwer feststellen: „In meinem Fach wird darüber gestritten, woran man genau messen soll, wie öffentlich relevant eine Plattform ist. Zahlen allein sagen nicht unbedingt etwas aus.“
Laut einer ARD/ZDF-Onlinestudie nutzten letztes Jahr nur vier Prozent der deutschen Bevölkerung täglich X. Als relevant wird sie im internationalen Kontext aber trotzdem erachtet, allein weil politische Institutionen dort Beiträge teilen. Sinnvoll sei, so Schweiger, sich klarzumachen: Um welche Öffentlichkeit geht es eigentlich?
Zu klein, zu langweilig, zu ähnlich?
Für die Alternativen fallen sie unterschiedlich aus: Threads zog aufgrund der verknüpften Profile zwar schnell viele Nutzer an (monatlich sind gut 275 Millionen aktiv) – allerdings kritisierten viele, dass keine passenden Inhalte ausgespielt würden. Zudem soll sich Mark Zuckerberg, zu dessen Meta-Konzern Threads gehört, ebenfalls als Trump-Berater angeboten haben.
Mastodon wiederum hat deutlich weniger Nutzer (gut zehn Millionen, von denen weniger als eine Million aktiv sind, Stand November 2024) und erschien vielen als zu tech-affin und weniger vom Weltgeschehen getrieben. Bluesky zog zwar früh ehemalige Twitter-Nutzer an, blieb aber bisher zu klein. Erst nach der US-Wahl stieg die Nutzerzahl auf 24 Millionen.
Ob die Bluesky-Welle anhält, sei nicht abzusehen, hält Schweiger fest. „Das Kernproblem ist, dass die Nutzer nicht wissen, wo sie nun eine große wie passende Community für sich aufbauen können.“
Politiker als Zugpferde?
Unter welcher Prämisse könnte sich nun aber eine der Alternativen durchsetzen? „Erstmal müssten sich möglichst viele Nutzer anmelden. Ich würde für Deutschland vorschlagen, dass sich die Bundes- und möglichst viele Länderregierungen unisono auf eine Plattform einigen und diese dann bespielen.“
Angesichts des Wahlkampfes sahen sich zuletzt der stellvertretende Bundeskanzler Robert Habeck und die SPD jedoch auch angehalten, bei X präsent zu sein, um möglichst viele Menschen zu erreichen.
Jeder Post, der jetzt noch von einer offiziellen Institution abgesetzt wird, hielte Musks Plattform weiter in der Öffentlichkeit – und vermittle den Eindruck, dass es auf ihr freie Meinungsäußerung gebe. „Die Bundesregierung wäre dabei ein starker Akteur, um viele Nutzer auf eine andere Plattform mitzuziehen.“
Neue Plattform, neuer Platz für Trolle?
Könnte die Alternativen aber nicht auch ein gleiches Schicksal wie X ereilen, wenn sie zu groß werden und Trolle anziehen? Schweiger sieht das weniger kritisch. Trolle gebe es überall. Auf X wurden jedoch gezielt Desinformation und Hassrede gefördert. Ideal wäre zwar, wenn eine Plattform unter rechtsstaatlichen Regelungen arbeite und händisch kontrolliert werde. „Das ist aber utopisch, denn solch eine Plattform wäre für die Nutzer zu teuer.“
Welche Plattform sich langfristig durchsetzt, sei schwer abzusehen. „Es könnte auch sein, dass die Karawane in drei Jahren weiterzieht.“ Die Perspektiven seien vielleicht noch unklar, aber sicher ist: „Für X gibt es keine Perspektive mehr.“