Erzberger verhandelt mit den Alliierten und der Kaiser flieht
Im Wald von Compiègne, rund 80 Kilometer nördlich von Paris, wird im November 1918 hart verhandelt. Das deutsche Heer steht nach viereinhalb Kriegsjahren vor dem Zusammenbruch. Kaiser Wilhelm II. und die Oberste Heeresleitung drängen auf einen Waffenstillstand.
Doch statt selbst zu den demütigenden Verhandlungen zu reisen, schicken die deutschen Aristokraten und Militärs den streitbaren Staatssekretär Matthias Erzberger nach Compiègne: einen unerschrockenen Reichstags-Parlamentarier aus Oberschwaben.
In einem umgebauten Zugwaggon trifft er sich mit den Vertretern der Alliierten. Während Erzberger in Frankreich verhandelt, flieht der Kaiser in die Niederlande. Reichskanzler Prinz Max von Baden dankt ab. Erzberger ist auf sich allein gestellt. Er unterschreibt schließlich das Waffenstillstandsabkommen wie ausgemacht und rettet Deutschland dadurch vor der vollständigen Zerstörung.
Sonderfolge des Podcasts "Sprechen wir über Mord" zum 100. Todestag von Matthias Erzberger
Kein Held, sondern Sündenbock
Doch statt zum Helden, wird der streitbare Schwabe Matthias Erzberger zum Sündenbock der Nation. Eine Hetzkampagne ohne gleichen rauscht durch die deutsche Journaille. Man gibt ihm die Schuld an allem: Am verlorenen Krieg genauso wie an der desaströsen finanziellen Situation.
Trotzdem drängt Erzberger, der Finanzminister der Republik, auf ein neues, übrigens bis heute gültiges, einkommensabhängiges Steuersystem. Wenig später versuchen ehemalige Weltkriegssoldaten, Erzberger zu erhängen. Im Januar 1920 schießt man auf ihn. Er kommt jedes Mal nur mit knapper Not davon.
Unbeirrbar hält er trotzdem an seinen Reformplänen für das Steuerwesen fest. Erzberger ist einer der wenigen hauptberuflichen Politiker. Seit seinem 25. Lebensjahr ist er schon für die katholische Zentrumspartei im Reichstag. Er gilt trotz seines schwäbischen Dialektes als brillanter, bissiger Redner und als scharfsinniger Analytiker.
Porträt Der Politiker Matthias Erzberger – Märtyrer der Weimarer Republik
"Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen" vertraut Matthias Erzberger seiner Tochter 1920 an. Ein Jahr später wird der Schwabe – eine ebenso begabte wie tragische Symbolfigur der Weimarer Republik – von Rechtsextremen erschossen.
Mit Erzberger starb eine Möglichkeit, dem Nationalsozialismus die Stirn bieten zu können
Allen Verleumdungen und Anfeindungen zum Trotz wird Matthias Erzberger als zukünftiger Kanzler der Weimarer Republik gehandelt. Bevor er dieses Amt antreten will, macht er im August mit der Familie Urlaub im Schwarzwald.
Am Morgen des 26. August 1921 trifft er sich mit einem befreundeten Abgeordnetenkollegen zu einem Spaziergang. Seine Frau und seine jüngste Tochter lässt er im Hotel. Zwei Rechtsradikale der Terror-Organisation Consul beobachten die beiden Spaziergänger und feuern aus nächster Nähe zwei Schüsse auf Erzberger ab. Er stirbt sofort und mit ihm eine wichtige Möglichkeit, dem erstarkenden Nationalsozialismus politisch die Stirn bieten zu können.