Wenn wir unseren Augen nicht mehr trauen können

Von flachen Kuppeln bis hin zu falschen Muskeln: Optische Täuschungen in der Kunst

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Autor/in
Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt

Die Lust an Trugbildern oder „Trompe-l’œils“ in der Kunst geht schon zurück bis in die Antike und gipfelt heute in der Virtual Reality. Wie die Kunst immer neu einlädt, über die Wirklichkeit nachzudenken.

Kann das sein? Seit jeher faszinieren optische Täuschungen die Wissenschaft und Künstler*innen lassen uns gerne mit den Möglichkeiten der optischen Täuschungen an unseren Sinnen zweifeln. Die Grenze zwischen Kunst und Realität verschwimmt.

Kunst der optischen Täuschung in der Antike

Schon aus dem antiken Griechenland wurde die schöne Geschichte überliefert, dass die Maler Parrhasios und Zeuxis sich einst einen Wettstreit geliefert haben sollen: Wer kann naturalistischer malen?

Der Überlieferung des Geschichtsschreibers Plinius der Ältere nach, malte Zeuxis also Trauben, die so echt wirkten, dass hungrige Vögel nach ihnen pickten. Als er dann ganz stolz das Bild seines Rivalen begutachten wollte, bat er ihn, doch endlich den Leinenvorhang davor beiseite zu schieben, um dann festzustellen, dass er selbst getäuscht wurde. Der Vorhang war gemalt. Zeuxis hatte es zwar geschafft, Vögel zu täuschen, der Konkurrent aber hatte ihn hinters Licht geführt.

Zeuxis versucht, einen falschen Vorhang beiseite zu schieben
Detail aus einer Radierung von Johann Jakob von Sandrart von 1675. Zu sehen ist, wie Zeuxis aus Herakleia einer optischen Täuschung seines Maler Rivalen Parrhasius aufsitzt.

Die vermeintliche Kuppel in der Jesuitenkirche in Wien

Wenn es um optische Täuschungen – oder „Trompe-l’œils“ (wörtlich aus dem Französischen übersetzt: Augentäuschungen) geht, zweifeln wir immer wieder allzu gerne an unseren Augen. Die Art der Kunst spielt mit den Erwartungen und der Wahrnehmung der Betrachter*innen.

Und so wundern wir uns auch erstmal nicht, wenn wir in eine Kirche wie die Jesuitenkirche in Wien gehen. Dabei wirkte der Bau doch von außen gar nicht so imposant und hoch, wie von innen. Die Lektion: Auch in Kirchen wird geschummelt.

Optische Vergrößerung durch Pozzos Trompe-l’œils

Der Trick: Der italienische Maler und Architekt Andrea Pozzo hat hier eine imposante Kuppel an die flache Decke gemalt und den Kirchenbau damit zumindest optisch vergrößert. Die Scheinarchitektur trügt.

Deckengewölbe mit perspektivisch illusionistischer Malerei
Der Schein trügt hier: Der italienische Maler und Architekt Andrea Pazzo hat der Jesuitenkirche in Wien 1703-1705 ihre hochbarocke Gestalt verliehen. Besonders berühmt ist die optische Vergrößerung der Decke durch ein Trompe-l’œil.

Die perfekte Illusion

Den Rahmen der Malerei zu sprengen – das scheint das erklärte Ziel der optischen Täuschungen in der Kunst zu sein. Ein beliebtes Motiv liegt darum auf der Hand: wenn sich der Bildgegenstand sozusagen selbstständig macht und aus dem Rahmen auszubrechen scheint. Berühmtes Beispiel: das Gemälde „Flucht vor der Kritik“ (spanisch: Escapando de la critica) von dem Katalane Pere Borrell del Caso von 1874.

Junge schaut aus einem Rahmen
Der Knabe in Pere Borrell del Caso von 1874 scheint aus dem Rahmen heraus ins reale Leben steigen zu wollen

Mit weit aufgerissenen Augen scheint ein Junge im Begriff zu sein, aus einem (falschen) goldenen Bilderrahmen in eine andere Welt zu klettern. Raus aus der Welt der Zweidimensionalität, rein in die Realität auf der anderen Seite des Bilderrahmens. Eine fast perfekte Illusion. Ursprünglich wollte Berrell del Caso sein Gemälde: „Una cosa que no pot ser“ – also „Ein Ding der Unmöglichkeit“ nennen.

Thomas Demand rekonstruiert Pressefotos

Auch im 20. Jahrhundert hält die Kunst an dem Spiel mit der Faszination an optischen Täuschungen fest. Der Fotokünstler und Bildhauer Thomas Demand zum Beispiel kommt sozusagen wieder auf die Überlieferung von Parrhasios und Zeuxis zurück, als er 2011 im Frankfurter Städel Museum einen purpurfarbenen Vorhang aufhängt.

Bei genauerer Betrachtung aber wird deutlich: Auch dieses vermeintliche Brokat-Schwergewicht ist nicht mehr als eine optische Täuschung. Eigentlich ist es nur eine flache Wandbespannung.

Frau vor einem falschen Vorhang
Eine Frau steht im Städel-Museum in Frankfurt am Main im historischen Metzlersaal des Hauses, den der Maler Thomas Demand neu gestaltet hat.

Der Künstler ist mit täuschend echten Inszenierungen der Wirklichkeit bekannt geworden. Sein Arbeitsprozess beginnt mit einem realen Pressefoto, das ihm als Inspiration gilt – zum Beispiel der Kontrollraum im havarierten Atomkraftwerk in Fukushima.

Dann baut er die Aufnahmen mit unglaublicher Akribie als Modelle aus Papier und Karton nach. Die Modelle fotografiert er wieder. Erst bei genauer Betrachtung kann man einen Unterschied erkennen. Die Bilder eint: Menschen sucht man vergeblich. Es sind nur leere Räume, die ihre Geschichte erzählen.

Optische Täuschung: Der Kontrollraum im havarierten Atomkraftwerk in Fukushima.
Eine Frau putzt in der Kademie der Künste in Berlin in der Ausstellung „Schwindel der Wirklichkeit“ neben dem Kunstwerk „Kontrollraum“ von Thomas Demand von 2011.

Auch Gerhard Richter spielt mit optischen Täuschungen

Und auch Gerhard Richter, einer der bekanntesten und renommiertesten Künstler Deutschlands greift das Thema der optischen Täuschung immer wieder auf. Vor allem die zentrale Frage in der Kunst nach Illusion, Schein und Wirklichkeit.

Mit ganz unterschiedlichen visuellen Techniken macht Richter deutlich, wie begrenzt die menschliche Wahrnehmung ist und wie vielfältig dagegen die Möglichkeiten der Manipulation und Täuschung. Das kann ganz einfach sein: zum Beispiel mit einem Ölgemälde von einem vermeintlich umgeschlagenen Blatt von 1965.

Offsetdruck in Grau und Elfenbein von Gerhard Richter
Die Edition „Blattecke“ basiert auf Gerhard Richters Gemälde „Umgeschlages Blatt“ aus dem Jahr 1965. Dieses Bild wurde über die Galerie h von August Haseke in Hannover verkauft. Für die Edition hat Gerhard Richter das 24 x 18 cm kleine Gemälde abfotografiert und gleich groß im Offsetverfahren in einer Auflage von 739 Stück reproduzieren lassen. Im Anschluss hat der Künstler jedes Blatt mit Bleistift signiert und das jeweilige Tagesdatum in der rechten Bildecke ergänzt.

Das Motiv wiederholte er 1967 unter dem Titel „Blattecke“ als Offsetdruck in Grau und Elfenbein auf Karton. Die Drucke enthalten jeweils in Bleistift die Signatur des Künstlers und das entsprechende Datum rechts unten unter dem „umgeschlagenen“ Blatt. 

Optische Täuschungen im Internetzeitalter

Und natürlich haben es die optischen Täuschungen in der Kunst auch ins Internetzeitalter geschafft. Auf YouTube werden die Videos des britischen Künstlers Howard Lee millionenfach geklickt.

Er zeigt, wie er neben einer Cola-Dose eine täuschend echt aussehende falsche Dose daneben zeichnet. Oder einen Hotdog. Nur zweimal hinschauen reicht da nicht. Hyperrealismus.

Auch Street Art spielt mit Illusionen

Verblüffende optische Täuschungen können uns inzwischen auch jeden Tag auf der Straße begegnen. Weil sich auch Street Art Künstler bei der Trompe-l’œil-Technik bedienen.

Zum Beispiel der Künstler Dan Witz, auch bekannt als „Godfather of Street“, der heute weltweit bekannt ist. Ursprünglich kommt Witz aus Chicago. Seine oft humorvollen Bilder finden sich inzwischen aber auch in Deutschland. Eine aufsehenerregende Street-Art-Aktion führte ihn unter anderem 2012 nach Frankfurt.

Gesicht und Hände einer Frau hinter Gittern.
Für Amnesty International hat der New Yorker Street-Artist Dan Witz 2012 Mauern in Frankfurt in „Klagemauern für mehr Gerechtigkeit“ verwandelt, um auf die Schicksale von Menschenrechtsaktivist*innen aufmerksam zu machen. Zu sehen ist die täuschend echte Nachahmung eines vergitterten Metallfensters, hinter dem schemenhaft eine politische Gefangene zu sehen ist.

Humor steht bei diesen Werken aber überhaupt nicht im Vordergrund. Es geht darum, kritisch auf das Schicksal von verfolgten Aktivisten aufmerksam zu machen. Bei „Klagemauern für Gerechtigkeit“ nutzte der Künstler die Mauern und Brückenpfeiler der Stadt und gestaltet Kellerfenster und Schächte sozusagen zu Gefängniszellen um, hinter deren Gitterstäben man politische Gefangene erahnen kann.

Die Kunst soll die Menschen bewusst irritieren und so in jeder Hinsicht zum Innehalten und Nachdenken animieren.

Virtual Reality baut auf optische Täuschungen

Und auch Virtual Reality, die in der aktuellen Kunst immer wichtiger wird, bedient sich der optischen Täuschung, die als dreidimensionale Realität wahrgenommen wird.

In vielen Virtual-Reality-Brillen sind zwei Displays verbaut, die das Bild erzeugen. Das virtuelle Bild ist für jedes Auge anders ausgerichtet, dadurch verschiebt sich die Bildperpektive. Die Augen nehmen die Projektionen als reale Bilder wahr und im Gehirn setzt sich ein virtueller Raum zusammen.

Reiz hinter optischen Täuschungen bleibt über die Jahrhunderte gleich

Streng genommen ist das erklärte Ziel dieser Form der Kunst seit Jahrhunderten, uns auf den Arm zu nehmen, uns eben bewusst zu täuschen. Aber angesichts der anhaltenden Faszination für gelungene Illusionen hat es der Philosoph Theodor W. Adorno gut auf den Punkt gebracht: „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“

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