Die AfD konnte 2023 ihren Mitgliederbestand um 43,7 Prozent (+746) erhöhen - ihr bislang höchster Wert. Das geht aus der jährlichen Erhebung des Berliner Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer hervor, die dem SWR exklusiv vorliegt. Die Freien Wähler konnten die Zahl ihrer Mitglieder nach eigenen Angaben sogar um 64 Prozent (+380) steigern. Ihre Mitgliederzahlen werden allerdings in der Niedermayer-Studie nicht erfasst.
Die Studie beschäftigt sich ausschließlich mit Parteien, die im Bundestag vertreten sind, was bei den Freien Wählern nicht der Fall ist. In Rheinland-Pfalz sind sie aber in zahlreichen Kommunalparlamenten und seit 2021 auch im Landtag vertreten und haben daher politische Bedeutung.
Freie Wähler RLP legen am meisten bei Mitgliederzahlen zu
Der Generalsekretär der Freien Wähler Rheinland-Pfalz, Christian Zöpfchen, sagte, 2023 sei bundesweit kein anderer Landesverband der Freien Wähler so deutlich gewachsen, wie der in Rheinland-Pfalz. Zöpfchen führt das unter anderem auf den Erfolg bei der Kommunalwahl 2019 und im Besonderen auf den Einzug in den Landtag 2021 zurück.
Dadurch sei die Zahl der Mandatsträger gestiegen und über die Freien Wähler werde häufiger in den Medien berichtet. Heißt: Die Freien Wähler seien sichtbarer, präsenter, würden mehr wahrgenommen und damit steige die Bereitschaft, der Partei beizutreten, so Zöpfchen. Das Wachstum setzt sich offenbar in diesem Jahr fort. Im ersten halben Jahr ist der Mitgliederbestand der Partei laut Geschäftsstelle um rund 17 Prozent bzw. um 170 Mitglieder gestiegen.
AfD wächst vor allem im Saarland, aber auch in Rheinland-Pfalz
Auch die AfD konnte in Rheinland-Pfalz viele neue Mitglieder gewinnen. Die Partei ist der Niedermayer-Studie zufolge im vergangenen Jahr in allen Bundesländern gewachsen. Mit mehr als 80 Prozent fiel der Zuwachs am deutlichsten im Saarland aus, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit rund 54 Prozent und mehr als 47 Prozent in Brandenburg.
Wie kommt es zu diesem enormen Mitgliederzuwachs? Der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli aus Landau sagte dem SWR: "Wenn eine Partei, wie zuletzt die AfD, so breit und so deutlich Mitglieder gewinnen kann, dann ist das ein Indikator dafür, dass sie in der etablierten Parteienlandschaft angekommen ist. Sprich: Einer Partei, von der man nicht weiß, ob es sie morgen noch gibt, tritt man nicht so schnell bei. Wenn man aber den Eindruck hat, die Partei ist gefestigt, sie bleibt, dann steigt auch die Bereitschaft, ihr beizutreten."
"In Teilen rechtsextremistische AfD hat sich festgesetzt"
Eine Entwicklung, die Sarcinelli nicht gutheißt: "Es ist sehr beunruhigend, dass eine Partei, die in Teilen als gesichert rechtsextremistisch gilt, sich im Parteiensystem mehr und mehr festsetzt und damit zum Normalzustand wird." Das Mitgliederwachstum hält offenbar auch bei der AfD im Land in diesem Jahr an. Wie die Partei dem SWR mitteilte, sind der AfD im ersten halben Jahr (Stichtag 30. Juni) rund 500 Menschen beigetreten.
In Rheinland-Pfalz ist es lange her, dass eine Partei innerhalb eines Jahres so deutlich gewachsen ist. Nach Angaben des Parteienforschers Niedermayer war die Linkspartei in Rheinland-Pfalz 2007 um fast 220 Prozent gewachsen. Die Partei konnte damals innerhalb eines Jahres fast 1.000 neue Mitglieder gewinnen. Einen solchen Wert hat seitdem keine Partei mehr im Land geschafft. In der jüngeren Vergangenheit war es laut Studie lediglich den Grünen 2019 gelungen, ihren Mitgliederbestand immerhin um rund 29 Prozent zu steigern. Im vergangenen Jahr konnten die Grünen in Rheinland-Pfalz mit 0,1 Prozent bzw. drei neuen Mitgliedern allerdings nur leicht zulegen.
Linkspartei verliert prozentual die meisten Mitglieder
Den größten Mitgliederschwund gab es 2023 erneut bei der Linkspartei. Das Minus betrug rund 11,2 Prozent (165). Im Jahr zuvor (2022) lag es bei rund 18 Prozent – seit 1990 der größte Mitgliederverlust einer Partei binnen eines Jahres im Land. Die Linke, die noch nie im Landtag vertreten war, verliert seit 2011 (Ausnahme 2021) stetig Mitglieder.
Mitgliederverluste auch bei FDP, SPD und CDU
Prozentual die zweitmeisten Mitglieder im Land hat im vergangenen Jahr die FDP verloren. Der Verlust lag 2023 bei 5,3 Prozent bzw. 255 Mitgliedern. Dann folgt die SPD. Sie hat 1.228 Mitglieder verloren, was einem Minus von 4,1 Prozent entspricht. Bei der CDU lag das Minus bei 2,4 Prozent bzw. 814 Mitgliedern weniger.
CDU bleibt mitgliederstärkste Partei in RLP
Aber trotz ihres Rekordwachstums sind Freie Wähler und AfD bei der Gesamtmitgliederzahl noch teils weit entfernt von den seit Jahrzehnten bestehenden etablierten Parteien. Die mitgliederstärkste Partei in Rheinland-Pfalz bleibt trotz anhaltender Verluste weiterhin die CDU. Sie kam zum Stichtag 31.12.2023 auf 33.221 Mitglieder, gefolgt von der SPD mit 28.792 Mitgliedern. Die Grünen sind mit 5.369 Mitgliedern weiterhin die drittgrößte Partei in Rheinland-Pfalz. Dahinter die FDP mit 4.558 Mitgliedern. Die AfD erreicht mit 2.454 Mitgliedern ihren bislang höchsten Stand. Die Linke hat 1.313 Mitglieder. Die Freien Wähler hatten nach eigenen Angaben zum Stichtag 31.12.23 insgesamt 974 Mitglieder.
Mitgliederentwicklung entspricht dem Trend im Bund
Die Zahlen für Rheinland-Pfalz entsprechen im Wesentlichen dem Bundestrend bei der Mitgliederentwicklung der Parteien. Sprich: Auch bundesweit ist es so, dass die Linke die meisten Mitglieder verloren hat (-7,3%), gefolgt von FDP (-5,6%), SPD (-3,9%) und CDU (-2,4%). Die Grünen haben aber im Gegensatz zu Rheinland-Pfalz bundesweit Mitglieder verloren (-0,4). Die AfD hat 2023 bundesweit mit einem Plus von 36 Prozent weniger neue Mitglieder gewonnen als in Rheinland-Pfalz.
Trend: Immer weniger Menschen engagieren sich in Parteien oder Vereinen
Den Trend, dass sich tendenziell weniger Menschen in Parteien, aber auch in Kirchen, Gewerkschaften oder Vereinen engagieren, gibt es schon seit Jahrzehnten. Der Grund ist laut Politikwissenschaftler Niedermayer der gesellschaftliche Wandel. Früher hätten Menschen viel mehr Wert darauf gelegt, den Alltag in der Gemeinschaft zu organisieren, etwa in Vereinen oder Parteien. Weil vielen mittlerweile die Zeit dafür fehle, mache man das oft allein, sagte Niedermayer dem SWR.
Niedermayer hat dazu in seiner Studie festgestellt: 1980, nach der Gründung der Grünen, seien in der alten Bundesrepublik knapp 4 Prozent der Bürger (ab Eintrittsalter 14 bzw. 16 Jahre) Mitglied einer Partei gewesen. Ende 1990, nach der Wiedervereinigung und dem Hinzukommen der PDS (heute Linke), seien es noch 3,7 Prozent gewesen. Ende 2022 seien trotz des zwischenzeitlichen Hinzukommens der AfD nur noch 1,6 Prozent der Bürger Mitglied einer Partei gewesen. Eine Wende dieses Trends sei nicht in Sicht, so Niedermayer.
Die vollständige Dokumentation der Parteimitgliedschaften im Jahr 2023 von Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer wird in Heft 2 der Zeitschrift für Parlamentsfragen veröffentlicht.