Vilnius im Frühling. Das bedeutet: grauer Himmel und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Im Winter kann es hier schon mal minus 20 Grad werden. Auf den Straßen, zwischen den Plattenbauten aus der Sowjetzeit ist bei diesem Wetter kaum etwas los. Doch in einem der Betonklötze lebt Selina Schneider, eine junge Frau aus dem kleinen Eifeldorf Hüttingen an der Kyll. Was sie in die Hauptstadt von Litauen verschlagen hat? Ihr Traum, Ärztin zu werden.
Einen Plan B gab es für die 24-Jährige nie: "Ich kann mir als Beruf nichts anderes vorstellen." Nur reichte ihr Abitur nicht für ein Medizinstudium in Deutschland. "Ich habe wirklich alles probiert", sagt Schneider. Sie habe sich an allen deutschen Universitäten beworben. Doch sie bekam nur Absagen. Ihr Traum schien zu platzen. Bis sie dann von einem Angebot des Eifelkreises Bitburg-Prüm erfuhr: ein Stipendium für ein Medizinstudium im Ausland. "In dem Moment war das meine größte Hoffnung", sagt Schneider.
Eifelkreis zahlt großen Teil des Studiums
Das ist jetzt drei Jahre her und inzwischen studiert Selina Schneider im sechsten Semester in Vilnius. Möglich ist das nur, weil der Eifelkreis den Großteil der Studiengebühren von 11.000 Euro übernimmt. "Ich hätte das alleine nicht finanzieren können", sagt die 24-Jährige. Auch wenn sie in den Semesterferien weiterhin in der Eifel beim Rettungsdienst arbeitet.
Schneider ist dankbar für die Chance. Auch, wenn die ersten Semester in Litauen hart waren. Sie musste vor allem Biologie, Anatomie und andere theoretische Fächer büffeln - und das auf Englisch: "Das war mühsam, intensiv und auch schwierig, aber es ist trotzdem so schön, wenn man jeden Tag das macht, was einen interessiert." Und mittlerweile ist sie im praktischen Teil ihres Studiums, der ihr besser gefällt. Gelernt wird jetzt in der Klinik statt in der Uni, mit Patienten statt mit Büchern. Ihre bisher schönste Erfahrung hatte sie auf der Kinderstation: "Da untersuchst du dann kleine Kinder und die sind so dankbar, wenn du ihnen hilfst."
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Studentin will in die Eifel zurückkehren
Auch abseits des Studiums sei die Hauptstadt von Litauen kein schlechter Ort, von den Plattenbauten und dem kalten Winter mal abgesehen. Vilnius hat eine schöne Altstadt am Fluss, viele Restaurants, Bars und Cafés. "Ich genieße es, zum ersten Mal in so einer Stadt zu leben", sagt Schneider. Trotzdem ist die junge Frau froh, wenn sie wieder zurück in ihrer Heimat ist, "auf dem Land, wo es grün ist und wo man Ruhe hat vor Verkehr und Lärm."
In der Region Trier fehlen 75 Ärzte
Und sie muss auch zurückkommen. Dazu hat sie sich in einem Vertrag mit dem Eifelkreis verpflichtet. Die Bedingung für das Stipendium ist, dass sich die junge Frau nach ihrem Studium als Landärztin in der Eifel niederlässt und dort mindestens zehn Jahre bleibt. "Denn in den nächsten zehn Jahren werden etwa 60 Prozent meiner Kollegen in der Eifel in Rente gehen", sagt die Bitburger Hausärztin Heidi Weber, die auch zweite Vorsitzende des Hausärzteverbands Rheinland-Pfalz ist: "Und Nachfolger sind keine in Sicht." Wenn sich keine finden, dürften etliche Praxen schließen.
Und schon jetzt nehmen die meisten Hausärzte in der Eifel keine neuen Patienten mehr an. Allein in Bitburg gibt es nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung 16 Ärzte zu wenig. In der gesamten Region Trier sind 75 Arztsitze nicht besetzt. Die Wartezeiten auf Termine werden daher immer länger, genauso wie die Arbeitszeiten der Hausärzte, die im Schnitt inzwischen bei 60 bis 80 Stunden die Woche liegen. "Aber wir können nicht unendlich viele Menschen versorgen", sagt Weber.
Zu wenig Studienplätze, zu wenig Allgemeinmediziner
Die Bitburger Ärztin begrüßt es daher, dass der Eifelkreis Stipendien an junge Menschen vergibt: "Das ist eine Chance für die vielen talentierten jungen Leute, die sich gerne hier als Ärzte niederlassen würden." Aber es gebe viel zu wenige Studienplätze in Rheinland-Pfalz und Deutschland. Zudem würden die Studierenden eher an die Arbeit in Kliniken oder in Fachpraxen herangeführt: "Die Allgemeinmedizin hat da keinen guten Ruf und kommt auch nur wenig vor." Das müsse sich dringend ändern.
Gesundheitsminister Clemens Hoch Neue Modelle gegen den Ärztemangel
Mehr als die Hälfte der Hausärzte geht bald in den Ruhestand. Wir haben beim rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister Clemens Hoch nachgefragt, was dagegen getan wird.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat nun zumindest mal ein Ziel formuliert: Die Länder sollen 5.000 weitere Medizinstudienplätze an ihren Universitäten schaffen. Heidi Weber ist aber äußerst skeptisch, dass das schnell genug gelingt, um die Krise in den ländlichen Regionen abzuwenden. Auch der Eifelkreis will nicht warten und schreibt weitere Stipendien aus - so wie auch der benachbarte Vulkaneifelkreis.
Elf Bewerberinnen für Stipendium im Eifelkreis
Immerhin drei junge Frauen haben sich in den vergangenen Jahren auf so eine Förderung eingelassen. Sie studieren inzwischen in Litauen, Bulgarien und Ungarn. Im vergangenen Jahr gab es dann eine Bewerberflaute, sagt Landrat Andreas Kruppert (CDU). Doch seit der Kreis wieder mehr Werbung für das Angebot macht und die Förderung von 8.000 auf 10.000 Euro jährlich erhöht hat, melden sich wieder mehr Interessenten.
Elf Bewerberinnen haben sich für das Wintersemester beim Kreis gemeldet. Andreas Kruppert ist daher zuversichtlich, dass es der Kommune gelingen wird, die vier Stipendien zu vergeben. Damit wäre den Patienten in der Eifel geholfen, aber auch jungen Menschen, die einen Traum haben. So wie Selina Schneider, die dafür sogar bereit war, rund 2.000 Kilometer weg zu ziehen. Um in etwa zwei Jahren wieder in die Heimat zurückzukehren.