Viele Eltern in der Vulkaneifel und dem angrenzenden Landkreis Cochem-Zell atmen auf: Kinderarzt Reinhold Jansen aus Daun macht weiter, reduziert aber sein Angebot. Ärztlich betreuen will er nur noch Säuglinge und Kleinkinder. Um 14 Uhr endet die Sprechstunde.
Mit 73 Jahren könnte Jansen längst im wohlverdienten Ruhestand sein. Sein Gewissen sagt ihm aber weiterzuarbeiten: "Mit meinem Ausscheiden würden sich hier ganz viele Kinder ohne ärztliche Betreuung wiederfinden. Ich kann diese Familien nicht im Stich lassen und werde sehen, was ich noch auffangen kann."
Fokus auf Behandlung der Kleinsten
Er hat sich bewusst dafür entschieden, nur noch die Allerkleinsten zu behandeln: "Weil da der größte Bedarf ist, da werden die Weichen gestellt. Es geht dabei zum Beispiel um die Früherkennung von Herzfehlern, von Fehlbildungen oder Entwicklungsstörungen. Da sind wir als Kinderärzte nicht zu ersetzen." Ältere Kinder ab dem Vorschulalter könnten auch zum Hausarzt gehen. Eine dauerhafte Lösung für Eltern und Kinder in der Vulkaneifel sei das aber nicht.
Vor zehn Jahren übernahm Reinhold Jansen die Praxis in Daun. Eigentlich wollte er sie nur für zwei bis drei Jahre führen und dann an einen Nachfolger abgeben. Daraus wurde nichts. Zuletzt war ein möglicher Nachfolger abgesprungen, weil die Praxis in finanzielle Schieflage geraten ist. Jansen hatte immer wieder auch Patienten aus dem Nachbarkreis Cochem-Zell behandelt. Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP) wollte ihm nicht die entsprechenden Honorarsummen auszahlen. Die Begründung: Jansen habe zu viele Patienten behandelt. Eine Ausnahmeregelung sei nicht möglich, da die KV an geltende Gesetze gebunden ist. Sein Fall beschäftigt nun das Sozialgericht.
Budgetierung von Kinderärzten mittlerweile aufgehoben
Die Budgetierung von Kinderärzten, die Jansen überhaupt erst in diese Lage gebracht hat, sei inzwischen durch den Gesetzgeber abgeschafft worden, teilte das Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz auf SWR Anfrage mit. Das bedeutet, alle vom Kinderarzt erbrachten Leistungen werden bezahlt, auch wenn die Patienten aus dem Nachbarkreis stammen.
Der Weg wäre jetzt also frei, alle kleinen Patienten zu behandeln. Reinhold Jansen hat aber mittlerweile weder die Energie noch das medizinische Personal. "Die Mitarbeiterinnen haben sich etwas anderes gesucht, das ist auch vollkommen verständlich", so Jansen. "Und ich selbst merke inzwischen auch meine Grenzen und muss kürzertreten."
Kinderarzt im eigenen Landkreis rund 50 Kilometer entfernt
Stephanie Adams aus dem Landkreis Cochem-Zell ist erleichtert, dass der Kinderarzt weiterhin ihre zweijährige Tochter behandelt. Sie war einer der Fälle, bei denen die Kassenärztliche Vereinigung wegen angeblich zu vieler Patienten das Honorar kürzte. "Die Kinderärzte, die es hier bei uns im Landkreis Cochem-Zell gibt, sind 50 Kilometer entfernt von unserem Wohnort. Die Kassenärztliche Vereinigung sagt selbst, dass Wegstrecken von mehr als 25 Kilometern unzumutbar seien", erzählt die Mutter.
Landesministerium für Gesundheit sieht keine Unterversorgung
"Mit Stand 7. August 2023 beträgt der Versorgungsgrad im Planungsbereich Cochem-Zell 55,54 Prozent", schreibt das Gesundheitsministerium des Landes Rheinland-Pfalz diesbezüglich auf SWR-Anfrage. Das bedeutet konkret, dass zwei Kinderarztniederlassungen im Kreis Cochem-Zell unbesetzt sind. Im Landkreis Vulkaneifel gibt es, solange Reinhold Jansen weiter macht, laut Ministerium keine freien Niederlassungen und einen Versorgungsgrad von rund 117 Prozent. Ähnlich sieht es im Kreis Mayen-Koblenz aus.
"In allen drei Landkreisen finden wir Versorgungsgrade oberhalb der Schwelle einer drohenden Unterversorgung, sodass wir davon ausgehen, dass die kinderärztliche Versorgung weiterhin sichergestellt sein wird", so eine Sprecherin des Ministeriums. Erst ab 50 Prozent sprechen KV und Ministerium von einer Unterversorgung.
Forderung an Politik: Kinderärzte müssen wie Hausärzte behandelt werden
"Das ist Schönrechnerei", kommentiert Reinhold Jansen. Man schaue sich immer nur einzeln die Zahlen der beiden Landkreise an, vergesse dabei aber die Familien, die mit ihren Kindern aus anderen Landkreisen zu seiner Praxis pendeln - so wie Stephanie Adams. Er fordert deshalb, dass Kinderärzte vom Gesetzgeber als Hausarzt für Kinder betrachtet werden und nicht als Fachärzte. Für Hausärzte gilt eine Unterversorgungsschwelle von 75 Prozent.
Für Stephanie Adams ist der Mangel an Kinderärzten längst keine mathematisch errechnete Prozentzahl mehr, sondern bittere Realität. Im Mai hatte sie versucht, einen anderen Kinderarzt zu finden, wohl wissend, dass Jansen seine Praxis wahrscheinlich bald schließen würde.
Als sie an einem Vormittag um kurz vor elf in einer der beiden bestehenden Praxen im Kreis Cochem-Zell anrief, sagte man ihr, dass es keinen Sinn machen würde, mit ihrer Tochter herzukommen, denn bis sie die Praxis erreicht habe, sei diese geschlossen. Aus lauter Verzweiflung fuhr Adams ohne Terminanmeldung doch nach Daun zu Reinhold Jansen. "Das Wartezimmer ist aus allen Nähten geplatzt. Zuerst wollte man uns abweisen. Da bin ich in Tränen ausgebrochen", erzählt Adams.
Fast 25.000 Unterschriften gesammelt Offener Brief an die Politik: Eltern fordern Kinderarzt für die Eifel
Es gibt zu wenige Kinderärzte in der Vulkaneifel. Mit Petitionen und einem offenen Brief wollen Eltern nun Druck auf die Politik ausüben. 25.000 haben schon unterschrieben.
Mutter: "Flehen um Behandlung unserer Kinder darf kein Standard werden."
Ihre Tochter wird am Ende doch behandelt. Diagnose: Eitrige Mandelentzündung, das kleine Mädchen bekommt Antibiotika. Adams ist mehr als dankbar. "Ich finde aber auch: so eine Reaktion, dass man dankbar sein und um die Behandlung des Kindes flehen muss, dürfte es in einem Land wie Deutschland einfach nicht geben", sagt Adams. Dass Reinhold Jansen in Daun weiterhin Säuglinge und Kleinkinder behandelt, erleichtert Adams zutiefst, denn: Sie ist gerade mit ihrem zweiten Kind schwanger.