Landau in der Vorweihnachtszeit. Ihn würde man mit seinen 1,96 Metern Körpergröße auch im größten Weihnachtsmarktgetümmel sofort erkennen: Anuraj Sri Rajarajendran. Student aus Landau, amtierender Landesmeister im Poetry Slam in Rheinland-Pfalz und seit gut einem Monat auch Deutscher Meister. "Als ich losgefahren bin zu den Meisterschaften nach Bielefeld, habe ich wirklich gar nicht damit gerechnet. Als ich dann tatsächlich gewonnen habe, habe ich es erstmal auch gar nicht realisiert."
Erst am Tag darauf, als er schon wieder in der Pfalz war, hat er gemerkt, was da passiert ist, sagt er. Und dass sich jetzt vielleicht doch einiges für ihn ändern könnte.
Landau: seit fast 15 Jahren Poetry Slam-Hauptstadt der Pfalz
Die Mutter der Poetry Slam-Szene in Landau heißt Anja Ohmer, Dozentin an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität (RPTU). Sie hat 2010 die ersten Slam-Seminare an der Uni angeboten. Sie war auch in Bielefeld dabei, als Sri Rajarajendran als amtierender Landesmeister auch noch Deutscher Meister wurde.
Bühnenshow? Braucht er nicht - Rampensau? Ist er nicht
"Anuraj ist jetzt nicht das, was man einen Ultra-Performer nennt, der die Bühne abrockt. Er ist eher ruhig und ernsthaft und genau das ist in Bielefeld gut angekommen."
Während viele andere Slammer versuchen, das Publikum zum Lachen zu bringen, balanciert Sri Rajarajendran zwischen Humor und Tiefgang. "Das zeichnet ihn aus", sagt Ohmer.
Publikum in Bielefeld erst amüsiert, dann gerührt
Einer der Texte, auf die genau das zutrifft, ist "Ich bin eine 10 von 10". Sri Rajarajendran zählt darin seine kleinen Unzulänglichkeiten auf: Dass er nie Star Wars gesehen hat, dass er seine Witze wiederholen muss, damit sie ankommen (ein Satz, den er zwei Mal vorliest) oder dass er ausgerechnet vor dem ersten Date Aioli isst.
Auf jedes Beispiel folgt die Feststellung, er sei eben eine "10 von 10". Das Publikum amüsiert sich köstlich. Bis der Text irgendwann kippt und es nicht mehr nur um liebenswerte Macken geht, sondern um Ängste und Selbstzweifel, die Narben hinterlassen haben.
Das Publikum wird stiller und stiller, um dann am Ende, als der Text auf die Zielgerade einbiegt, von den Stühlen gerissen zu werden: "Ich bin nicht perfekt und ich wills auch gar nicht sein. Ich bin vielleicht keine 10 von 10, doch für jemanden da draußen bin ich die Nummer 1."
Lyrisches Ich? Nein: Alles selbst erlebt
"Alle meine Texte befassen sich mit Erfahrungen, die ich selbst erlebt habe", sagt Sri Rajarajendran. Einmal hat er versucht, etwas auf Teufel komm raus Witziges zu schreiben und ist krachend gescheitert: "Da habe ich schon auf der Bühne gemerkt, dass ich da nicht hinter stehen kann."
Wenn ein Text während des Schreibens Comedy-Potential entwickelt, ist es gut so. Wenn nicht, ist es auch in Ordnung. So wie bei "Papa, warum weinst Du nicht", sein vielleicht persönlichster Text, der ihm in Bielefeld den Sieg gebracht hat. Sri Rajarajendran arbeitet sich darin am Beispiel seines Vaters an einem überholten Bild von Männlichkeit ab. Am Ende trifft er für sich eine Entscheidung: "Wenn es wirklich so ist, das echte Männer nicht weinen, dann will ich kein echter Mann sein."
Es mache ihm nichts aus, sein Inneres auf der Bühne so nach außen zu kehren, sagt Sri Rajarajendran. Und auch sein Vater habe verstanden, was er ihm mit diesem Text habe sagen wollen.
So geht es für den deutschen Meister weiter
Die ersten Tage nach der Meisterschaft in Bielefeld hat Sri Rajarajendran nicht gedacht, dass sich durch den Meistertitel was ändern würde in seinem Leben. "Aber dann kamen Anfragen, Follower auf Instagram, Kommentare, Likes... da habe ich gemerkt, dass das doch einige Türen aufgestoßen hat."
Am 11. Januar wird er beim Neujahrsempfang der Stadt auftreten. Im Juni werden in Landau die Poetry Slam Landesmeisterschaften ausgetragen und im Herbst will Anuraj Sri Rajarajendran sein erstes Buch auf den Markt bringen.
"Das nächste Jahr wird wohl anders, als ich es vor ein paar Monaten noch gedacht hätte", sagt er.