Mittwochmorgen in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Klinikums Idar-Oberstein. In einem der fünf Behandlungszimmer liegt die erste Patientin des Tages. Die Frau hat seit etwa einem halben Jahr einen Defibrillator, der ihr schwaches Herz unterstützen soll. Doch der hat bereits am Vortag Piepsgeräusche von sich gegeben. Die Patientin ist verunsichert. Sie klagt über über einen Druck in der Brust, Atembeschwerden und Kopfschmerzen.
Vielseitige Ursachen
Die Ursachen für die Probleme können vielseitig sein, sagt Oberarzt Ricardo Gomez Nava. "Es kann sein, dass bei dem Defibrillator die Batterie nicht mehr ausreichend ist oder dass das Gerät möglicherweise verrutscht ist und nicht mehr richtig arbeiten kann. Das kann für die Patientin aber lebensbedrohlich sein."
Verbunden mit dem Druck in der Lunge sei auch ein Herzinfarkt oder eine Lungenentzündung denkbar, erklärt er. Für die genaue Diagnose ordnet er verschiedene Untersuchungen an. Eine Schwester entnimmt eine Blutprobe, ein EKG wird durchgeführt. Auch ein Ultraschall des Herzens und ein Röntgenbild stehen an. Außerdem soll der Defibrillator ausgelesen werden. Die Ergebnisse der Untersuchungen könnten dann zeigen, ob die Frau im besten Fall wieder nach Hause gehen kann oder doch operiert werden muss.
10 Prozent Notfälle, viele Bagatell-Besuche
Fälle wie dieser sind definitiv richtig in der Notaufnahme, sagt der Oberarzt. Schmerzen oder Beschwerden, die neu seien und plötzlich auftreten, sollten abgeklärt werden. Doch solche sofort behandlungsbedürftigen Notfälle machten nur rund 10 Prozent der Patienten in der Notaufnahme des Klinikums Idar-Oberstein aus. Ein Großteil der Menschen käme dagegen mit Beschwerden, die eigentlich eher zum Hausarzt gehörten. "Beschwerden, die schon seit Monaten bestehen, wie ein lang anhaltender Schwindel, Bauch- oder andere Schmerzen sollten nicht über die Notaufnahme laufen. Das ist offensichtlich kein Notfall mehr, weil der Schmerz schon länger besteht."
Zu wenig Ärzte
Die Leute kommen trotzdem, die Gründe dafür sind nach Ansicht des Oberarztes unterschiedlich. Zum einen gebe es zu wenig Hausärzte und die, die da sind, seien überlastet. Patienten müssten auch dort mit langen Wartezeiten rechnen und auch Termine für Fachärzte seien schwer zu bekommen. "Ich kann verstehen, dass die Leute manchmal Angst haben und bei uns Hilfe suchen. Dafür sind wir natürlich da, aber das führt dazu, dass die Notaufnahme überfüllt wird."
Eine Tatsache, die sich auch mit Zahlen belegen lässt. So hat sich die Zahl der Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme nach Angaben des Klinikums in den vergangenen Jahren fast verdoppelt. Waren es vor 2020 noch etwa 35 Patientinnen und Patienten, die pro Tag behandelt wurden, seien es mittlerweile etwa 80. Im Mai diesen Jahres habe die ZNA erstmals 2.000 Patienten pro Monat gezählt: Ein Rekord.
Hoher Andrang führt Krankenhaus an Kapazitätsgrenzen
Besonders viel zu tun gebe es, wenn die Hausärzte im Kreis Birkenfeld geschlossen hätten, Mittwoch- und Freitagnachmittags zum Beispiel. Und auch direkt nach dem Wochenende, am Montag, rennen die Leute der Notaufnahme förmlich die Türen ein, berichtet das Pflegepersonal. Dann entstehe ein Andrang, der nicht nur viel Geduld der Wartenden erfordert, sondern das Klinikum auch räumlich an seine Grenzen bringt.
Zwar stehen neben fünf Behandlungszimmern auch eine Überwachungsstation mit sechs Betten zur Verfügung, dieser Platz sei jedoch schnell ausgeschöpft, wenn manchmal bis zu 40 Patienten in einer Stunde vor der Tür stehen würden.
Eine Arbeit zwischen gefrusteten Patienten und lebensbedrohlichen Notfällen
Für Ricardo Gomez Nava und sein Team bedeutet das Arbeiten unter Höchstleistung. Denn jeder, der in die Notaufnahme kommt, erhält dort auch Hilfe, sagt der Oberarzt. Dabei ist es egal, ob es sich nun um einen Zeckenbiss, einen eingewachsenen Zehennagel oder eben um einen Herzinfarkt oder Schlaganfall handelt. Die Menschen sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass die Notaufnahme keine Supermarktkasse ist, erinnert er.
Zwar gebe es immer wieder Leute, die ihre individuellen Probleme als die wichtigsten einschätzten, die fachliche Entscheidung darüber, wer eine Behandlung dringender benötige, liege aber nun mal in den Händen des Notaufnahmen-Teams. Eine stundenlange Wartezeit für Menschen mit kleineren Beschwerden sei deshalb nicht unüblich. Viele Patienten seien dann gefrustet und beschwerten sich. Das mache die tägliche Arbeit nicht einfacher.
"Das ist dann ein Teufelskreis, wenn man so viel zu tun hat, so viele Patienten, die sich beschweren, dann kommt man in so einen Tunnelblick, in dem man nicht klar denken kann. Und dann kommen die Fehler. Und genau das versuchen wir zu vermeiden, indem wir genau entscheiden, wer tatsächlich ein Notfall ist und sofort behandelt werden muss. Und alles andere muss dann warten", erklärt Ricardo Gomez Nava.
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Notaufnahmen können nicht kostendeckend arbeiten
Während die Behandlung der Patienten in den Händen des Notaufnahmen-Teams liegt, beschäftigt sich der Verwaltungsdirektor des Idar-Obersteiner Klinikums, Hendrik Weinz, mit finanziellen Fakten. Und vor diesen kann kaum einer die Augen verschließen. Denn die zentralen Notaufnahmen tragen nach Ansicht des Verwaltungsdirektors dazu bei, dass deutsche Krankenhäuser in finanziellen Problemen stecken.
"Eine durchschnittliche Notfallbehandlung kostet nach einem Gutachten der Deutschen Krankenhausgesellschaft 126 Euro. Wenn die Patienteninnen und Patienten nach ihrer Behandlung nicht stationär eingewiesen, sondern nach Hause geschickt werden, erhält das Krankenhaus rund 30 Euro", sagt der Verwaltungsdirektor. Und dabei sei es egal, ob beim Patienten nur ein Pflaster gewechselt oder eine teuere CT-Aufnahme gemacht werde. Kostendeckung? Fehlanzeige!
Bessere ärztliche Versorgung in der Region nötig
Oberarzt Ricardo Gomez Nava hält es deshalb für sinnvoller, wenn das, was das Krankenhaus für die Behandlung der Notfallpatienten bekommt, sich auch nach der Art der durchgeführten Untersuchungen richten würde. Er sieht ansonsten nur noch eine Möglichkeit, die überfüllten Notaufnahmen zu entlasten: Mehr Haus- und Fachärzte, die helfen, die Patientinnen und Patienten in der Region gut zu versorgen.