Alle sind gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Michelbach - so wirkt es, seit es Anfang des Jahres in dem Ortsteil von Gerolstein mit etwa 90 Einwohnern medienwirksam Proteste gegen eine geplante Asylbewerberunterkunft gab. Bei einer Demonstration Ende Januar wurden Landrätin Julia Gieseking (SPD) beispielsweise Lügen vorgeworfen.
Eine Bürgerinitiative hat sich gegründet, die betont, dass man nichts gegen Asylbewerber an sich habe. Aber die geplanten bis zu 60 Menschen seien zu viel. Der Kreistag der Vulkaneifel hat schließlich im März entschieden, dass in Michelbach erst Menschen untergebracht werden, wenn alle anderen Einrichtungen im Kreis voll sind.
Wer bei dem Thema bisher kaum zu Wort gekommen ist: Rocky Musleh, der Betreiber der Unterkunft. Im Interview mit SWR Aktuell erzählt Musleh, warum die Unterkunft von Anfang an nicht dauerhaft geplant war, welchen wirtschaftlichen Verlust er hat, und was Anfeindungen und Falschbehauptungen mit ihm machen.
SWR Aktuell: Herr Musleh, Sie haben mehrere Unternehmen in verschiedenen Geschäftsfeldern, zusammengefasst in einer Holding in Hanau. Ein Geschäftsfeld ist die Unterbringung von Geflüchteten. Wie kam es dazu?
Rocky Musleh: Ich bin selbst Anfang der 90er Jahre mit meinen Eltern als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Und wir persönlich kennen alle Facetten von einer Flucht nach Deutschland. Wir waren in Ostdeutschland und in Westdeutschland in Unterkünften. Daher kommt der Wille, etwas zu verändern und den Menschen etwas Sauberes und Ordentliches anzubieten.
SWR Aktuell: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Musleh: Anfang der 90er in Ostdeutschland als Flüchtling zu leben, wünsche ich keinem. Wir haben ganz viele schlechte Erfahrungen und natürlich auch gute Erfahrungen gemacht. Und aus diesem Grund versuchen wir, den Menschen das Leben hier am Anfang zu vereinfachen und ihnen ein würdevolles Leben anzubieten. Aus den eigenen Erfahrungen etwas besser machen, das ist die Intention.
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SWR Aktuell: Wo haben Sie schon Unterkünfte betrieben?
Musleh: An der Spitze des Krieges in der Ukraine hatten wir sieben Unterkünfte im Main-Kinzig-Kreis. Aktuell betreiben wir keine Unterkunft mehr, aber sind immer noch in der Flüchtlingsarbeit aktiv, ab dem 1. September wieder mit einem anderen Auftrag zur Betreuung.
SWR Aktuell: Was sind Ihre Erfahrungen mit diesen Unterkünften und welche Rückmeldungen haben Sie bekommen?
Musleh: Das muss man eigentlich die Menschen fragen, die betreut worden sind. Unsere Aufgabe war, das einfach menschlich zu gestalten. Und auch diese Menschen, die so traumatisiert aus einem Kriegsgebiet kommen, einfach mal abzuholen und ihnen die Möglichkeit zu geben, einfach mal anzukommen.
Zur Ruhe kommen und natürlich versuchen, sich zu integrieren und das Land zu verstehen: Wo kann man als Flüchtling seinen Beitrag leisten, etwas zu verändern? Wir wollen den Menschen auch in Michelbach eine würdige Unterkunft bieten. Da gibt es keinen Luxus, aber einen Raum, sich zu entfalten.
SWR Aktuell: Wenn man betrachtet, was sie sonst machen - Gastronomie, Veranstaltungen, Medizintechnik, Cannabis - rentiert sich so eine Unterkunft dann überhaupt für Ihr Unternehmen?
Musleh: Es geht, glaube ich, eher darum, etwas zurückzugeben. Und die Erfahrungen aus den Fehlern, die vor 30 Jahren gemacht wurden, zu nutzen. Nicht alle Flüchtlinge sind schlecht. Sie sind eine Chance, die man ergreifen sollte. Das sieht man bei uns: Wir waren vier Kinder, wir sind alle in Arbeit, sind integriert und leisten hier Dienst an der deutschen Gesellschaft.
SWR Aktuell: Wie kam es dazu, dass Sie das Hotel Huschens in Michelbach gekauft haben?
Musleh: Ich habe mir die Immobilie online angesehen und fand sie interessant. Ich war mit einem Wohnmobil in der Eifel unterwegs und wollte erst mal die Landschaft anschauen, gucken, ob das passt für uns. Wir haben noch ein Unternehmen für ausländische medizinische Fachkräfte und dafür brauchen wir genau solche Unterkünfte. Wenn die Fachkräfte nach Deutschland kommen, sind sie anerkannt und sprechen schon Deutsch. Aber sie werden noch auf die Arbeit vorbereitet, müssen gewisse Prüfungen durchlaufen. Für diese Übergangszeit brauchen wir Appartements.
Dieses Projekt hat sich aber leicht verschoben, deswegen habe ich das Hotel der Kreisverwaltung als Flüchtlingsunterkunft angeboten und es hat in der aktuellen Situation sehr gut gepasst. Es gibt einen Vertrag und wenn der abgelaufen ist, ist natürlich unsere Intention was anderes. Natürlich ist es eine Zwischenlösung.
SWR Aktuell: Zurzeit soll das Hotel aber als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden und dagegen regt sich Protest. Die Michelbacher betonen, dass sie nichts gegen die Menschen an sich hätten, von Anfang an sind aber Worte wie "Asylanten", "Massenunterkunft" und "Fremdenfeindlichkeit" gefallen - alles herabwürdigende Begriffe. Wie haben Sie diese Stimmung wahrgenommen?
Musleh: Sehr negativ. An dem Tag, an dem diese Demonstration war, hat man diesen Hass gespürt. Ich kann mir nicht vorstellen, wenn man von 80 bis 90 Einwohnern in Michelbach spricht, wie dann fast 200 Herrschaften mit Plakaten und Hassparolen dort stehen können. Ich glaube, da fühlt sich keiner wohl. Da sind Erinnerungen hochgekommen, wie es in Ostdeutschland Anfang der 90er Jahre war. Man hat das braune Gedankengut gespürt.
Als ich an dem Tag von Michelbach zurückgefahren bin, habe ich gedacht: Stell Dir vor, heute wäre die Zuweisung und die Menschen würden die traumatisierten Flüchtlinge so empfangen. Da kommen geflüchtete Kinder, vom Krieg und der Reise strapaziert. Und dann wirst Du so empfangen. Mit so einer Demonstration.
Dann habe ich mich daran erinnert, was wir uns damals in Ostdeutschland gesagt haben: Wenn das hier wirklich Deutschland ist, dann will ich ganz schnell wieder zurück. Wenn man zum Beispiel auf dem Schulweg gejagt wird. Meine größte Angst war, dass die Leute hier auch so denken, wenn sie einen so empfangen.
SWR Aktuell: Das können ja nicht alles Michelbacher gewesen sein?
Musleh: Es war ja der Presse zu entnehmen, dass da irgendwelche rechten Zeitschriften unterwegs waren. Ich glaube, auch ganz viele AfD-Anhänger und auch ganz viele Rechtsradikale, meiner Meinung nach. Ist ja ein gefundenes Fressen für die.
SWR Aktuell: Das war eine Veranstaltung, auf der die Menschen offen ihr Gesicht zeigen. Uns haben eine Flüchtlingshelferin und die Landrätin berichtet, dass sie auch online Nachrichten bekommen haben. Der Inhalt teilweise menschenverachtend. Sie auch?
Musleh: Ich halte mich aus dieser Diskussion raus. Sobald aber irgendwelche Sachen erzählt werden, die nicht stimmen. Eine Frau hat in der Presse beispielsweise erzählt, dass Unterkünfte von mir nach ein paar Monaten geschlossen worden seien. Sie hat sich ins Zeug gelegt und hat, glaube ich, jeden Geschäftspartner oder jede Kommune angeschrieben, um einen Skandal über mich rauszufinden.
Also, das geht dann zu weit. Man kann über alles diskutieren. Wir leben in einer Demokratie und ich bin offen. Unsere Intention war ja an dem Abend der Demonstration, die Location für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Sie sollten erfahren: Was passiert hier? Wer wird zugewiesen? Wie können wir zusammen das Ganze gestalten? Das wurde ja komplett geblockt. Und dann über sich in der Zeitung irgendwelche Unwahrheiten zu lesen, das ist etwas, was einen nachdenklich macht.
Umso mehr bin ich motiviert, die Sache anzugehen und das menschenwürdig zu gestalten und ohne Vorurteile. Und es ist auch nicht so schlimm, wie es dargestellt wird. Niemandem wird die Wohnung oder das Haus weggenommen.
SWR Aktuell: Womit wurden Sie noch konfrontiert? Bei der Demonstration gab es zum Beispiel auch ein Plakat "Investor reich, Dorf tot".
Musleh: So etwas liest man, aber man ist gut beraten, sich mit so etwas nicht zu beschäftigen. Mit Hassparolen und braunem Gedankengut will ich mich nicht befassen, das sollen andere machen. Das kostet mich Energie. Das ist den Flüchtlingen gegenüber unfair und wir wollen unsere Energie, unsere Kraft in gute Sachen investieren.
SWR Aktuell: Sie hatten eigentlich geplant, Anfang des Jahres Menschen in Michelbach unterzubringen. Es sollte einen Busfahrer und einen Flüchtlingslotsen geben. Das fällt jetzt erst einmal weg. Welche Folgen hat das für Ihr Unternehmen?
Musleh: Natürlich geht man nicht in so ein Projekt, um dann Stillstand zu haben. Ja, wirtschaftlich gesehen ist es nicht schön. Aber es wird ja irgendwann belegt. Es gibt ja den Kreisbeschluss, bevor nicht alle anderen Unterkünfte am Limit sind - was ich nicht gut finde - wird Michelbach nicht belegt. Aber ja, die Menschen sollten irgendwann kommen und wir sind vorbereitet.
SWR Aktuell: Das sind jetzt unvorhergesehene Umstände, das Haus sollte eigentlich belegt werden und sie hätten dafür Geld bekommen. Jetzt wohnen erst einmal keine Menschen dort, der Vertrag besteht aber weiter. Welche Möglichkeiten haben Sie und der Kreis jetzt?
Musleh: Es gibt einen Vertrag, wir sind in der Kommunikation und natürlich ist es keine schöne Situation. Aber es gibt einen kleinen Betrag, der die Unkosten deckelt. Damit kommt man nicht weit, aber es ist trotzdem vertraglich so festgehalten, dass Kosten, die durch den Leerstand entstehen, getragen werden. Wir können unsere Arbeit nicht starten, aber wir sind grundsätzlich seit dem 1. Februar startklar.
SWR Aktuell: In Michelbach gibt es Gerüchte, der Kreis habe so viele Wohnungen für Geflüchtete gefunden, dass die Unterkunft in Michelbach dieses Jahr gar nicht mehr belegt wird. Kann das stimmen?
Musleh: Wir sind in der Kommunikation mit der Kreisverwaltung. Wir kennen diese Gerüchte nicht.
SWR Aktuell: Wie sind ihre kurz- und langfristigen Pläne für die Unterkunft in Michelbach?
Musleh: Wir haben demnächst ein Gespräch mit der Kreisverwaltung, da werden wir die nächsten Schritte besprechen. Wir brauchen natürlich mehr Informationen zu den Zuweisungen, um uns dann auch vorbereiten zu können. Das ist jetzt sehr dynamisch.
Man muss ja gucken: Wie viele Zuweisungen gibt es aktuell? Wie ist die Situation jetzt in der Ukraine? Wie ist die Situation in den Drittstaaten? Das kann sich über Nacht verändern. Wir sind da in ständigem Austausch und wenn unsere Dienste gebraucht werden, sind wir innerhalb von kürzester Zeit aktiv.
SWR Aktuell: Was würden Sie sich für Michelbach dann wünschen?
Musleh: Wichtig wäre es einfach, dass man den Menschen die Möglichkeit gibt, anzukommen. Dass man Menschen nicht mit irgendwelchen Vorurteilen belastet aus irgendeinem Halbwissen heraus. Und es ist nicht alles schlecht. Man kann auch die Chancen sehen, auch in dieser Flüchtlingskrise: Wer könnte uns später in der Fachkräftethematik helfen? Wo könnten wir die Menschen gut einsetzen?
Ich weiß nicht, ob so eine Trauerstimmung in Michelbach für die nächsten Jahre angebracht ist. Wir haben Verständnis für die Ängste, aber die Geflüchteten sind auch nur Menschen. Es sind keine Tiere, die zu uns kommen. Das ist eine Respektsache.