Stephanie Erkes ist 39 Jahre alt und lebt von Erwerbsminderungsrente. Um ihren Alltag zu meistern, braucht sie viel Unterstützung, denn sie leidet unter konstanten Ängsten und Panikattacken. Heute lebt sie im Maria Goretti Haus des Sozialdienstes der katholischen Frauen in Trier (SkF).
Für sie ist dieser Ort ein Schutzraum. Kochen, einkaufen, sich um banale Dinge kümmern, all das geht für Erkes nicht mehr alleine. Deshalb helfen ihr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bei Anträgen, Arztbesuchen und haben immer ein offenes Ohr, wenn die Ängste überhandnehmen. Doch der Weg zu diesem Schutzort war für Stephanie Erkes unglaublich schwer.
Depressionen und Ängste machten sie krank
Die Depressionen von Stephanie Erkes reichen schon lange zurück. Doch irgendwie kam sie immer klar, erzählt sie. Sie arbeitete bei einem Betrieb für Onlinehandel in Köln in der Auftragskoordination. Doch dann geriet sie irgendwann in eine Abwärtsspirale. Sie bekam die Diagnose einer Herzkrankheit und bekam daraufhin einen Defibrillator implantiert. Von da an war sie wie gelähmt vor lauter Angst.
"Ich hatte ständig Angst und Panik, dass dieses Ding zum falschen Zeitpunkt auslöst, außerdem hatte ich Schmerzen wegen des Gerätes." Ein Jahr lang versuchte sie sich an das Gerät zu gewöhnen, doch die Angstzustände wurden für sie unerträglich. Sie suchte immer wieder Hilfe bei Therapeuten, doch die Wartezeiten auf einen Therapieplatz waren viel zu lang. Sechs bis zwölf Monate hätte sie warten müssen.
Mit den Geldsorgen stieg der Druck auf die Psyche
Je schlechter es ihr ging, desto weniger schaffte sie es, sich Hilfe zu holen. "Ich konnte irgendwann nicht mal mehr einen Fuß aus dem Bett tun, der Druck zu funktionieren, war zu groß." Arbeiten gehen ging auch nicht mehr und dann wurde das Geld knapp, um die Miete zu zahlen, Geldsorgen kamen hinzu. Schlussendlich beschloss Stephanie Erkes sich das Leben zu nehmen. "Doch glücklicherweise rettete der Defibrillator mir in dieser Nacht das Leben", erzählt Erkes.
Es folgten Aufenthalte in zwei psychiatrischen Kliniken. Gleichzeitig kämpfte sie dafür, dass man ihr das Implantat entfernt. Und dann kam der 6er im Lotto, wie Erkes es nennt. Ein Sozialarbeiter erzählte ihr vom Maria-Goretti-Haus des SkF in Trier. Die Alternative wäre für sie ein Pflegeheim gewesen, denn sie konnte aufgrund ihrer psychischen Krankheit nicht mehr alleine leben. Sie hatte Glück, denn die freien Plätze beim SkF in Trier sind selten und so zog Erkes nach ihrem Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik direkt dorthin.
"Zu diesem Zeitpunkt hätte ich eh alles verloren, wäre der SkF nicht gewesen." Eine Wohnung konnte sie sich nicht mehr leisten. Als das Krankengeld auslief, bekam Erkes weder Bürgergeld noch Arbeitslosengeld. Das Jobcenter verwies an die Agentur für Arbeit und die wiederum ans Jobcenter. Monate vergingen, bis das geklärt war. Dann kamen die Anträge für die Erwerbsminderungsrente und auch das war kompliziert und dauerte. "Ohne die Sozialarbeiter des SkF hätte ich das nicht geschafft."
Arm wegen psychischer Erkrankung: kein Einzelfall beim SkF
Regina Bergmann, Leiterin des SkF, kennt viele Geschichten wie die von Stephanie Erkes. "Immer mehr Frauen kommen in die Obdachlosigkeit, weil sie schlechte oder gar keine Hilfe für ihre psychische Erkrankung bekommen. Das ist ein steigender Trend." Die Frauen berichten genau wie Stephanie Erkes, dass es unglaublich schwer sei, Hilfe zu finden. "Therapeuten sind überlastet, psychiatrische Kliniken voll und eine umfassende Betreuung wie bei uns gibt es viel zu selten", erzählt Bergmann.
Sogar Fachkräfte verlieren den Überblick im Bürokratiedschungel
Doch nicht nur die Suche nach Hilfe gestaltet sich immer schwieriger. Bergmann und ihr Team stellen fest, dass viele Menschen nicht mehr in der Lage sind, Sozialleistungen zu beantragen, weil die Bürokratie immer komplizierter wird. "Sogar unsere Fachkräfte schaffen es manchmal nicht, einen Überblick über die ganzen Anträge zu behalten. Wie sollen Menschen in Not das denn schaffen?", fragt Bergmann.
Immer mehr Menschen von Obdachlosigkeit bedroht Obdachlosenhilfe in Trier am Limit
Die Plätze in den Notunterkünften der Obdachlosenheime sind jetzt bereits schon voll. Experten erwarten, dass in den kommenden Wochen Bedarf nach Hilfe steigt.
Dazu kommt, dass es immer länger dauere, bis die Ämter zahlen, weil auch die überlastet sind. Bergmann erzählt, dass Betroffene ihre Miete nicht mehr zahlen können und Schulden machen. Ohne Hilfe von Freunden und Familien landen sie irgendwann auf der Straße oder wenn sie Glück haben beim SkF.
Dabei kann eine Psychotherapie Betroffenen sehr viel helfen und das Abrutschen in die Armut eventuell verhindern. "Je länger die Betroffenen auf Hilfe warten müssen, desto höher ist das Risiko, dass sie in einen negativen Teufelskreis geraten", sagt Wolfgang Lutz, Professor für klinische Psychologie an der Uni Trier.
Armut und psychische Erkrankung: Schneller Zugang zu Hilfe ist enorm wichtig
Armut und psychische Erkrankungen haben viele Zusammenhänge, die bereits wissenschaftlich erforscht wurden. Wer psychisch krank ist, hat eine 1,5 bis 3 Mal so hohe Wahrscheinlichkeit, arm zu werden. Dies gilt übrigens auch in die umgekehrte Richtung, erklärt Lutz.
Je schneller Betroffene Hilfe bekommen, desto weniger Probleme stauen sich an und desto größer sind die Erfolgschancen der Therapie, sagt Lutz. Durch Therapie verbessert sich auch die Arbeitsfähigkeit der Patienten und kann ein Abrutschen in Armut oder Wohnungslosigkeit verhindern.
Doch der Fachkräftemangel wird die Lage nicht verbessern, sagt Lutz. Aktuell fehlen in Deutschland rund 7.000 Psychotherapeuten (Quelle: Bundespsychotherapeutenkammer). An der Uni Trier beträgt die Wartezeit auf einen Therapieplatz über ein Jahr. "Es wäre sinnvoll, wenn es kürzere Therapieformen gäbe, damit mehr Menschen einen Zugang dazu bekommen", sagt Lutz. Auch digitale Hilfsangebote müssten breiter ins Auge gefasst werden. Aber vor allem müsste der Bund mehr für die Ausbildung von Therapeuten tun. Und die Kassen müssten mehr Zulassungen erlauben, fordert Lutz.
Was wirklich helfen würde gegen den Teufelskreis
Wenn man Stephanie Erkes fragt, was sie sich für Hilfe gewünscht hätte, äußert sie zwei Vorschläge: "Mir hätte es geholfen, wenn ich von Anfang an über all meine Probleme hätte reden können, also einen Therapieplatz. Und es hätte mir geholfen, wenn es einen Ort gegeben hätte, an dem alle Hilfsangebote gebündelt angeboten werden." Denn weder ihr Hausarzt noch das Jobcenter noch die Therapeuten in der Klinik hatten einen Überblick, sagt sie.
Stephanie Erkes und Regina Bergmann sind sich sicher: Unsere Gesellschaft braucht in Zukunft mehr Hilfe und Informationen für Menschen in seelischer Not.