Essen fliegt durch die Reihen, junge Besucher unterhalten sich lautstark und drehen Videos. Auch in Koblenz, Pirmasens und Kaiserslautern mussten Filmvorstellungen unterbrochen werden. Dahinter steckt wohl ein fragwürdiger TikTok-Trend.
SWR Aktuell: Wieso springen Jugendliche auf TikTok-Challenges auf und teilen Randale-Videos aus Kinosälen?
Christian Montag: Das sind Mutproben, wie sie es auch in meiner Generation gab. Man macht krasse Dinge, um als Heranwachsender in der Peer Group aufzufallen. Jetzt wird das Ganze in das digitale Zeitalter verlegt. Das ist das eine. Das andere ist, dass man jetzt – im Unterschied zu früher – indem man das filmt und dann postet, Feedback von einer größeren Community bekommt. Wir wissen, dass für junge Menschen das Nutzen von sozialen Medien durchaus auch etwas mit Identitätsfindung zu tun hat. Man versucht zu verstehen und auszutesten, wie man bei den anderen ankommt. Dass die Aktionen in den Kinos sehr extrem sind und sicherlich auch über manche vergangene Challenges hinausgehen, hat vielleicht einfach damit zu tun, dass man im Internetzeitalter gefühlt immer den nächsten Schritt machen muss, um dieselbe Aufmerksamkeit zu bekommen, die man davor für harmlosere Dinge bekommen hat. Denn viele Nutzende haben eben scheinbar schon alles gesehen.
SWR Aktuell: Das heißt, die Jugendlichen schaukeln sich auch gegenseitig hoch?
Montag: Ich will hier nicht pauschalisieren. Natürlich nimmt nicht jeder oder jede Jugendliche an TikTok-Challenges unterschiedlicher Couleur teil. Und es ist auch nicht so, dass sich alle in diesen Extrembereich hineinbewegen. Trotzdem sehen wir, dass die sozialen Netzwerke ermöglichen, über diese Art von Challenges sehr viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Einige Jugendliche nutzen dann eben dieses Format mit besonders gewagten Inhalten, um Reichweite und Sichtbarkeit zu generieren.
SWR Aktuell: Kann man auch etwas über das Alter der Jugendlichen sagen, die an solchen Challenges teilnehmen?
Montag: Ich kenne keine empirisch belastbaren Zahlen. Trotzdem wissen wir, dass gerade auf TikTok viele Menschen im Pubertätsalter unterwegs sind, deren Hirnreifung noch nicht abgeschlossen und deren Selbstregulationsfähigkeiten damit noch nicht final ausgeprägt sind. Junge Menschen sind deshalb besonders anfällig für die Mechanismen der Industrie – also Likes und Views, wie sie auch bei den Challenges eine große Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist eine Forschungsarbeit einer amerikanischen Kollegin interessant. Sie hat sich angeschaut, wie das Gehirn auf Likes reagiert. Man sieht da eben sehr schön, dass ansteigend über die Pubertät junge Menschen zunehmend auf das Like-Element reagieren. Wenn man sich Menschen nach der Pubertät anschaut, sieht man interessanterweise keine Zuwächse mehr.
Boxfilm "Creed III" mehrfach unterbrochen TikTok-Trend im Kino: Jugendliche stören Creed-Vorstellungen in Koblenz
Unruhen im Koblenzer Kino: Am Wochenende mussten im KINOPOLIS einige Vorstellungen des Boxfilms "Creed III" unterbrochen werden - vermutlich wegen eines fragwürdigen TikTok-Trends.
SWR Aktuell: Es gab ja schon einige Trends auf TikTok, von der Blackout Challenge – dem Würgen bis zum Umfallen – bis zu Koffeinüberdosen vor dem Training. Aber anders als die Kino-Challenge fanden sie zuhause im Kinderzimmer statt. Warum hat sich das jetzt geändert?
Montag: Aus Sicht der Jugendlichen ist das vielleicht nochmal eine – in Anführungsstrichen – mutigere Mutprobe: Ich tu etwas, das ich nicht nur mit mir persönlich in meinem Kinderzimmer ausmache, sondern ich muss mich auch entsprechend mit meiner direkten Umwelt auseinandersetzen und ich bekomme dort direktes Feedback. Allgemein möchte ich auch sagen: Der Hype um die TikTok-Challenges ist natürlich sehr schnelllebig. Sie haben jetzt eine Meldung und diese Challenge ist in ein paar Wochen vergessen und dann kommt die nächste. Meines Erachtens könnten wir die Probleme um die TikTok-Challenges zumindest in Teilen unterbinden, wenn Jugendschutz ernster genommen und Altersvorgaben auf den Plattformen mit einem Personalausweis überprüft würden. Zusätzlich würde das Aufnehmen der Personalien vielleicht auch das Verhalten auf der Plattform beeinflussen.