"Ja, ich war natürlich entsetzt. Dann aber, nach einem ersten Überlegen gar nicht mehr so überrascht, weil das in der ganzen Welt ein Problem ist, der Missbrauch an Frauen und Kindern. Aber dass es diese evangelischen Pfarrer auch betrifft, das finde ich schon schlimm", sagt Melanie Cwielong aus Speyer.
Hoffnung, dass sich etwas ändern wird, hat sie kaum: "Ich bin Gott sei Dank schon so alt und hab damit nicht mehr so lange zu tun."
Andrea Fohmann ist Mitglied der Protestantischen Gedächtniskirchengemeinde in Speyer. Ihr fühlt sie sich verbunden, engagiert sich dort ehrenamtlich. Die hohe Zahl der Missbrauchsfälle in der Evangelischen Kirche deutschlandweit hat sie erstaunt. Sie sieht aber positiv, dass die Kirche angefangen hat, diese Vergehen aufzuarbeiten. Dass immer wieder Kinder die Opfer sind, macht sie sehr betroffen: "Kinder sind immer schützenswert. Und jetzt gerade in so einem Rahmen, in der Kirche. Ich denke aber, je öffentlicher und sensibler man damit umgeht, desto besser sind auch die Kinder wieder geschützt."
Kritik an der Datenlage Studie: Tausende Opfer sexuellen Missbrauchs in evangelischer Kirche
Missbrauch in der evangelischen Kirche wurde bislang kaum beleuchtet. Eine am Donnerstag vorgestellte Studie ändert das. An dieser gibt es auch Kritik.
Die Pfälzische Landeskirche stellt sich dem Missbrauchsthema
Die jetzt im Auftrag der Evangelischen Kirche veröffentlichte Studie zu sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie dokumentiert auch 22 bestätigte Fälle im Bereich der Pfälzischen Landeskirche. Dort beschäftigen sich Referentinnen bereits seit längerem mit dem Thema "Schutz vor sexualisierter Gewalt". 2020 hat die Evangelische Kirche der Pfalz damit begonnen, hauptamtliche Mitarbeiter darin zu schulen, sensibel mit Kindern und Jugendlichen umzugehen.
Schutzkonzepte für Kitas stehen derzeit im Mittelpunkt
Ivonne Achtermann ist Sozialwissenschaftlerin und schult das Personal der Pfälzischen Landeskirche seit drei Jahren zum Thema sexualisierte Gewalt und Schutzkonzepte. Derzeit geht es um die hauptamtlich Beschäftigten in Kitas, aber auch in den Bereichen Landesjugendpfarramt oder Kirchenmusik.
"Das ist ein Mammutprojekt", sagt Ivonne Achtermann. Denn alle, jedes Dekanat, jede Kirchengemeinde müsse Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt entwickeln. "Wir haben bei den Kitas angefangen und MultiplikatorInnen ausgebildet, also Menschen, die dann für uns in die Institutionen gehen und schulen. Das geht von einer Basisschulung bis hin zu Täterstrategien und rechtlichen Grundlagen."
Für die Frankenthaler Pfarrerin Christina Neumann war es überraschend zu hören, dass Täter und Täterinnen ihre Übergriffe regelrecht planen. Während ihrer Ausbildung zur Pfarrerin wurde sie dann aber in Kursen entsprechend sensibilisiert. "Vorher hatte ich schon eher gedacht, dass da Gelegenheiten zufällig genutzt werden. Dass es aber oftmals sehr planvoll ist, sich dieses Vertrauen zu erschleichen und diese sexualisierte Gewalt von langer Hand zu planen, das hat mich doch sehr erschrocken."
Präventionsschulungen offenbar erfolgreich
Während des Vikariats, der praktischen Vorbereitung auf den Pfarrdienst, beschäftigte sich Christina Neumann immer wieder mit dem Thema "sexualisierte Gewalt". Als Pfarrerin in der Frankenthaler Kirchengemeinde im Pilgerpfad hat sie viel Kontakt mit Kindern und Jugendlichen, beispielsweise in der Schule, bei Jugendfreizeiten oder im Konfirmationsunterricht. In ihrer Zeit als Pfarrerin hat sie noch keinen Fall von sexualisierter Gewalt erlebt.
Sie fühlt sich durch die intensiven Schulungen aber gut vorbereitet, sollte so etwas je passieren: "Das hat mich natürlich sensibilisiert, dass ich mehr hinschaue. Dass ich auch damit rechne, dass so etwas passieren kann. Allein, um aufmerksam zu sein, muss man sich erst einmal darüber bewusst sein, dass es passieren kann und dass es nicht einfach so ist, dass Kinder sich jetzt halt verändern, weil sie in der Pubertät sind. Sondern, dass da mehr dahinterstecken kann."
Gläubige ziehen Konsequenzen
Die Umfrage in Speyer hat aber nicht nur gezeigt, dass viele Menschen entsetzt sind, über das, was bereits geschehen ist. Und dass viele eine lückenlose Aufklärung der Fälle erwarten. Sie zeigt auch, dass sich viele fragen, ob sie überhaupt noch Mitglied in einer Kirche sein wollen, die nicht sein konnte, was sie sein sollte: Ein Schutzraum und ein Ort der Geborgenheit.
"Ich bin damals aus der katholischen Kirche ausgetreten, wegen dem Umgang der Kirche mit dem Missbrauchsskandal dort und bin dann in die evangelische Kirche eingetreten", sagt Kathrin von der Brelie. "Darüber, ob ich jetzt in der evangelischen Kirche bleibe, muss ich einfach noch mal in Ruhe nachdenken. Dafür sind jetzt diese Ereignisse noch zu frisch."
Das Thema Austritt beschäftigt auch Nicole Schneider, die ins Grübeln gekommen ist, als sie gesehen hat, wieviel Geld in die Steuer für eine Kirche fließt, zu der "ich keine Verbindung mehr fühle, immer weniger, und irgendwie frage ich mich, wozu ich sie noch brauche".