Buchautor im Interview

Alternative Theorien stellen Ursache von Germanwings-Absturz in Frage

Stand
Autor/in
Christoph Bröder

Auch zehn Jahre nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den Alpen kehrt keine Ruhe ein. Es kursieren einige alternative Theorien zur Absturzursache.

Vor zehn Jahren ist die Germanwings-Maschine in den französischen Alpen abgestützt. Die Behörden ermittelten schnell, dass der aus Montabaur stammende Co-Pilot Andreas Lubitz das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hat. Er war psychisch krank und wollte sich auf diese Weise das Leben nehmen. Bis heute kursieren jedoch auch andere Theorien, wieso das Flugzeug abgestürzt ist. Mit diesen alternativen Theorien hat sich der österreichische Journalist und Autor Patrick Huber in seinem aktuellen Buch "Germanwings Flug 9525 - Absturz in den französischen Alpen" befasst.

SWR Aktuell: Herr Huber, was sind denn die alternativen Theorien zum Absturz, die am häufigsten verbreitet werden. Und wer hat sie aufgestellt?

Patrick Huber: Da gibt es Unzählige im Internet. Etwa ganz hanebüchene Theorien, dass das Flugzeug von einem Kampfjet abgeschossen wurde. Oder dass das Flugzeug versehentlich von einer neuartigen Laserwaffe getroffen wurde, die die US-Armee im Mittelmeer getestet habe. Eine zentrale Theorie ist aber, dass es im Flugzeug einen technischen Defekt gegeben haben soll. Und dass der Co-Pilot Andreas Lubitz zufällig in dem Moment handlungsunfähig bzw. bewusstlos geworden sein soll. Und dass auch ganz zufällig noch das Keypad zur Eingabe des Notfallcodes vor der Cockpittür defekt gewesen sein soll, weswegen der Kapitän nicht wieder zurück ins Cockpit konnte.

Eine zentrale Theorie ist aber, dass es im Flugzeug einen technischen Defekt gegeben haben soll.

Dafür gibt es aber keinen einzigen Beweis in den Wartungsunterlagen des Flugzeuges. Eine Abwandlung dieser Theorie unterstellt sogar, dass gar nicht Andreas Lubitz, sondern der Kapitän im Cockpit gewesen sei. Eine perfide Täter-Opfer-Umkehr. Das habe dann zum Absturz geführt. Diese Theorie vom technischen Problem als Auslöser des Sinkfluges wird zum Beispiel von einem österreichischen Software-Entwickler zurzeit wieder stark verbreitet.

Patrick Huber hat sich in seinem neuesten Buch mit dem Germanwings-Absturz befasst.
Patrick Huber hat sich in seinem neuesten Buch mit dem Germanwings-Absturz befasst.

SWR Aktuell: Was ist denn nach ihrer Einschätzung die Motivation dieser Menschen, solche Theorien aufzustellen und zu verbreiten?

Patrick Huber: Manche wollen sich einfach nur wichtigmachen, sie erhoffen sich dadurch Aufmerksamkeit. Andere hingegen sind überzeugt davon, dass sie es tatsächlich einfach besser wissen als alle anderen Experten, wie offizielle Flugunfallermittler, die den Fall bis ins kleinste Detail untersucht haben. Für manche ist es auch so unfassbar, dass Andreas Lubitz das Flugzeug absichtlich gegen den Berg geflogen hat, dass sie nach einer anderen Erklärung für den Absturz suchen, an die sie glauben können.

SWR Aktuell: Welche Rolle spielen dabei die Eltern des Co-Piloten Andreas Lubitz, die bis heute ja ebenfalls bestreiten, dass ihr Sohn das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hat?

Patrick Huber: Die Eltern betreiben eine eigene Website, wo sie seit Jahren bestreiten, dass ihr Sohn für den Absturz verantwortlich sei. Sie hatten damals sogar ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. Der Gutachter stellt darin die gesamte offizielle Untersuchung in Frage, liefert aber selbst keine alternativen plausiblen Erklärungen für den Absturz. Aus menschlicher Sicht ist das Handeln der Eltern verständlich, dass man die Verantwortung des Sohnes in der eigenen Trauer nicht akzeptieren will. Aber die Beweise belegen - soweit ich es beurteilen kann - die Verantwortung von Andreas Lubitz eindeutig. Die Beweise so zu ignorieren, das grenzt meines Erachtens nach schon an Realitätsverweigerung.

Günter Lubitz, der Vater von Andreas Lubitz, bei einer Pressekonferenz im Jahr 2017
Günter Lubitz, der Vater von Andreas Lubitz, bei einer Pressekonferenz im Jahr 2017, bei der die Familie ein eigenes Gutachten zur Unfallursache vorgestellt hat.

SWR Aktuell: Was bedeutet es denn ihrer Einschätzung nach für die vielen Angehörigen der Opfer, dass bis heute alternativen Theorien verbreitet werden?

Patrick Huber: Ich weiß von Angehörigen, dass sie unterschiedlich damit umgehen. Manche ärgert es einfach, andere sind tiefer getroffen, weil sie sagen, sie können mit ihrer Trauer nicht abschließen, weil keine Ruhe in dem Fall einkehrt. Mit solchen alternativen Theorien werden immer wieder Wunden aufgerissen, im schlimmsten Fall können Angehörige dadurch erneut traumatisiert werden, hat mir ein Psychologe mitgeteilt. Mir wurde etwa berichtet, dass ein kleiner Personenkreis seit Jahren versucht, die Angehörigen mit solchen alternativen Theorien regelrecht zu manipulieren.

SWR Aktuell: Wie gehen die offiziellen Ermittlungsbehörden mit diesen Theorien um?

Patrick Huber: Die Behörden weisen das zurück und beziehen sich auf die eindeutigen Beweise, die damals ermittelt wurden. Und auch andere Stellen, mit denen ich im Zuge meiner Recherchen Kontakt hatte, weisen das zurück. Etwa Piloten, studierte Ingenieure oder die wichtigsten Pilotenvereinigungen in Österreich und Deutschland. Niemand von ihnen hat Zweifel am Ergebnis des offiziellen Untersuchungsberichts.

SWR Aktuell: Wird dieser Fall denn nach ihrer Einschätzung irgendwann mal zur Ruhe kommen?

Patrick Huber: Ganz zur Ruhe kommen wird es wohl nicht. Einige Personen halten weiter an diesen alternativen Theorien zum Absturz fest. Und sie kommen damit aktuell sogar in einer Dokumentation eines privaten Fernsehsenders zu Wort. Jetzt, zum zehnten Jahrestag, kocht das Ganze nochmal hoch. Danach wird es sich aber auch wieder abschwächen. Die alternativen Theorien hingegen werden bleiben. Die offiziellen Ermittlungsbehörden haben den Fall aber längst abgeschlossen - mit dem Ergebnis, dass Andreas Lubitz das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hat.

Das Interview führte Christoph Bröder.

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Christoph Bröder