SWR Aktuell: Frau Paulus, klimaneutrale Gebäude bis 2050. Was beinhaltet die neue Richtlinie des EU-Parlaments?
Jutta Paulus: Das Thema ist natürlich ein klimaneutraler Gebäudebestand bis zum Jahr 2050 und wir haben ein Zwischenziel für 2030. Wir wollen bis 2030 55 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zu 1990. Und das wird nicht gehen, ohne dass man den Gebäudesektor anfasst. Die Kommission hat im Vorfeld sehr viele Daten erhoben und festgestellt, 40 Prozent der Energie und 36 Prozent der Emissionen in der EU werden im Gebäudebereich verbraucht. Der überwiegende Teil fällt in den schlechtesten Gebäudeklassen an. Also den Gebäuden, die mit wenig Wärmedämmung gebaut worden sind und an denen nie etwas gemacht worden ist.
Die Kommission wendet sich jetzt an die Mitgliedstaaten mit der Bitte: Sorgt dafür, dass die schlechtesten 15 Prozent der Gebäude in eurem Mitgliedstaat saniert werden. Das kann natürlich je nach Land unterschiedlich sein. Es gibt Mitgliedstaaten, wo schon sehr viel gemacht worden ist, wie beispielsweise in Schweden. Es gibt Mitgliedstaaten, wo noch nicht so viel passiert ist, wie beispielsweise in Bulgarien. Aber die 15 Prozent der schlechtesten Gebäude in jedem Mitgliedstaat sollen eben bis 2030 zwei Effizienzklassen hoch, wobei die Effizienzklassen auch neu gefasst werden. Das muss man in dem Zusammenhang wissen.
SWR Aktuell: Woher weiß ich denn als Hauseigentümer, dass mein Haus zu einer schlechten Effizienzklasse gehört?
Paulus: Die Kommission schlägt vor, dieses System der Effizienzklassen soweit zu vereinheitlichen, dass überall die gleichen Regeln gelten. Sprich ein Null-Energie- und Null-Emissions-Gebäude bekommt die Klasse A und die 15 schlechtesten Prozent in jedem Mitgliedsland bekommen die Klasse G. Die Klasse H gibt es nicht mehr, die haben auch nur wir Deutschen eingeführt, aus rätselhaften Gründen. Und die Gebäude dazwischen, die werden gleichmäßig aufgeteilt auf B bis F. Das heißt, wenn man jetzt irgendwo auf Wohnungssuche ist und sieht Effizienzklasse D, dann weiß man, das ist ein durchschnittliches Gebäude. Und diese 15 Prozent wären in Deutschland Gebäude mit einem Verbrauch von circa 270 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr, das ist schon wirklich sehr viel.
SWR Aktuell: Und die Eigentümer dieser Häuser sind dann gezwungen, daran etwas zu ändern und das Gebäude zu sanieren?
Paulus: Jein. In der Richtlinie steht, die Mitgliedstaaten sollen dafür Sorge tragen. Das bedeutet, sie sollen angemessene Maßnahmen ergreifen. Niemand, weder in einer Regierung, noch hier im EU-Parlament oder gar bei einem Gericht, wird sagen, jemanden aus seinem Haus zu vertreiben ist eine angemessene Maßnahme. Das heißt, das wird mit Sicherheit nicht passieren. Was aber passieren soll und muss, ist, dass die Mitgliedstaaten insbesondere die Eigentümer in den Blick nehmen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen.
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Wir haben sehr gute Daten bekommen von der DENEFF, das ist das deutsche Netzwerk Energieeffizienz. Die haben Untersuchungen gemacht und gesagt, von den Hauseigentümerinnen und Eigentümern liegen ungefähr elf Prozent im unteren Einkommensdrittel. Und das sind genau die Menschen, um die man sich kümmern muss, denen mit entsprechenden Angeboten geholfen werden muss. Ob es jetzt zinsfreie Darlehen sind, ob es Zuschüsse sind, da ist jeder Mitgliedstaat frei.
SWR Aktuell: Es sollen also finanzielle Anreize geschaffen werden, dass die Gebäude, die viel Emissionen ausstoßen und einen hohen Energieverbrauch haben, saniert werden sollen?
Paulus: Das steht in der Richtlinie. Das heißt, der Mitgliedstaat muss sie in nationales Recht umsetzen. Das wird in Deutschland über das Gebäude-Energie-Gesetz passieren, was ja auch gerade diskutiert wird, was sich auch schon sehr stark an dem orientiert, was wir gerade auf EU-Ebene diskutieren. Im Wesentlichen muss jeder Mitgliedsstaat festlegen, welche Maßnahmen, welche Instrumente für ihre Eigentümer angemessen sind. Tschechien hat beispielsweise schon sehr lange ein Programm laufen, bei dem sie die Einnahmen aus dem Emissionshandel dafür verwenden, soziale Wohnungsbauten zu modernisieren. Total sinnvoll, denn das sind ja genau die Leute, die unter den hohen Heizkosten am meisten leiden.
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SWR Aktuell: Was heißt das konkret? Wann ist denn ein Haus emissionsfrei?
Paulus: In der Regel kann man sagen: Passivhausstandard ist emissionsfrei. Aber man kann natürlich auch sagen, man muss nicht ganz bis zum Passivhaus-Standard runter - also 30 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr -, das ist wirklich sehr, sehr wenig. Man darf auch noch einen Rest Heizbedarf haben, nur den muss man mit erneuerbaren Energien decken. Bei einem Einfamilienhaus bietet sich vielleicht an, Solarpanels aufs Dach zu machen, mit denen man dann seine Wärmepumpe betreiben kann. Oder man kann auch einen Biogas-Vertrag abschließen. Man kann auch mit Holz heizen.
Ich hatte jetzt gerade am Wochenende einen Termin im Pfälzerwald, wo die Leute auch sehr verunsichert waren und gefragt haben, ob sie denn weiterhin als Selbstwerber noch Holz aus dem Wald holen können. Worauf ich dann geantwortet habe, selbstverständlich könnt ihr weiterhin als Selbstwerber Holz aus dem Wald holen, das ist überhaupt gar keine Frage. Es geht nur darum: Raus mit den fossilen Brennstoffen.
SWR Aktuell: Wo steht denn Deutschland im EU-Mitglieder-Vergleich? Das Ziel soll ja sein, dass alle EU-Länder etwa auf einen Standard kommen. Sieht das bei uns generell gut aus oder gibt es viel Sanierungsbedarf?
Paulus: Ja, wir sind so im Mittelfeld. Wir sind jetzt nicht oben an der Spitze, wie sich das manche so vorstellen. Wir sind ganz gut was die Neubauten, auch insbesondere seit den Neunzigerjahren, angeht. Aber insbesondere die Wohnungen und Häuser, die nach 1945, vor dem Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung oder nach der Ölkrise in den Siebzigerjahren hochgezogen worden sind. Da ist leider noch sehr viel zu tun. Oft haben die Leute auch selbst schon Maßnahmen ergriffen. Jemand der sieht, wie seine Heizrechnung von Jahr zu Jahr steigt und im letzten Jahr natürlich besonders dramatisch, der ist vielleicht selbst schon auf den Gedanken gekommen, dass es ganz schlau wäre, zumindest mal den Dachboden zu dämmen und neue Fenster einzubauen. Aber wir haben gerade im ländlichen Raum auch zum Teil noch Häuser, in denen seit hundert Jahren nichts gemacht worden ist.
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SWR Aktuell: Wann könnte es denn soweit sein, dass diese Pläne tatsächlich umgesetzt werden?
Paulus: Wir haben im Europäischen Parlament unsere Position jetzt festgelegt, der Rat der Mitgliedstaaten hat seine Position bereits letztes Jahr festgelegt. Das heißt, die Verhandlungen im sogenannten Trilog, wo Kommission, Rat der Mitgliedstaaten und Parlament an einem Tisch sitzen, werden jetzt vor dem Sommer beginnen und vermutlich im Laufe des Jahres abgeschlossen werden.
Und dann haben normalerweise die Mitgliedstaaten ein bis zwei Jahre Zeit, das in nationales Recht umzuwandeln. Aber jeder kann sich schon einmal merken, dass jetzt noch eine neue Gasheizung einzubauen, einfach eine sehr, sehr schlechte Idee ist.
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SWR Aktuell: Frau Paulus, sie hatten vorhin angesprochen, die Gebäude sind für 40 Prozent des Energieverbrauchs und für 36 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wie viel ändert sich durch die Sanierung tatsächlich?
Paulus: Also die 15 Prozent der schlechtesten Gebäude sind in Deutschland für knapp die Hälfte des Energieverbrauchs verantwortlich. Das heißt, wenn wir die auf den derzeitigen Durchschnittswert dämmen würden, also ungefähr den Verbrauch dieser Gebäude halbieren würden, dann hätten wir schon ein Viertel der Energie, die in den Gebäudesektor reingeht, gespart. Das ist wirklich ein großer Batzen.
Das Interview führte Nadine Lindacher.