"Ich berate Menschen, die ihre HIV-Diagnose ganz frisch bekommen haben", erzählt Sozialpädagogin Tonja Rausch von der Aidshilfe Trier e.V., "und da kommt das Thema Kinderwunsch dann sehr oft sofort zur Sprache: Oh Gott, kann ich denn jetzt noch Kinder bekommen?"
In Rheinland-Pfalz waren im vergangenen Jahr rund 2.360 Menschen mit HIV infiziert. Ein Viertel von ihnen sind Frauen. Vor Jahrzehnten bedeutete eine HIV-Infektion ein schweres Leiden und einen frühen Tod. Männern wie Frauen wurde damals abgesprochen, Eltern zu werden, sagt Dr. Ansgar Rieke. Er leitet die HIV-Ambulanz am Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein in Koblenz. "Ist es gerechtfertigt, dass eine Frau mit HIV noch Kinder kriegt? Diese Frage stand wirklich so im Raum, weil man sagte: Naja, wer ist denn hinterher für die Kinder da?"
Leben mit HIV: "Meine Gesundheit, mein Recht" Welt-AIDS-Tag 2024: Die neuesten Daten und Fakten
Menschen mit HIV können heute leben wie alle anderen auch. Aber immer noch gibt es Unwissenheit und Vorurteile. Am 1. Dezember ist wieder Welt-AIDS-Tag. Wie ist die Situation in RLP?
Doch seither hat sich extrem viel zum Guten verändert. "Mit einer HIV-Infektion kann man heute unter einer antiretroviralen Therapie (ART) ganz normal leben und dazu gehört selbstverständlich auch, dass man Kinder bekommen kann", sagt Rieke.
HIV-Therapie ermöglicht eine ganz normale Schwangerschaft
Mit der antiretroviralen Therapie (ART) wird die Vermehrung der HI-Viren unterdrückt. Und wenn die Virenlast so gering ist, dass HIV im Blut nicht mehr nachweisbar ist, kann die Aids-Erkrankung nicht ausbrechen und es ist auch keine Übertragung von HIV auf andere Menschen möglich. Das bedeutet, dass Männer auf ganz natürlichem Weg Kinder zeugen können, weil in der Samenflüssigkeit keine Viren vorhanden sind. Und Frauen, die ihre HIV-Medikamente nehmen, können eine ganz normale Schwangerschaft und Geburt haben. Ansonsten müssen die betroffenen Frauen per Kaiserschnitt entbinden, damit das Kind nicht durch Blut der Mutter infiziert wird.
Welt-AIDS-Tag 2024 Von Geburt an HIV-positiv – "Ich dachte, mein Körper ist was Böses"
Steffi S. ist seit ihrer eigenen Geburt HIV-positiv. Heute hat die 38-Jährige selbst ein Kind und lebt mit ihrem Mann in der Pfalz.
"Wenn die Frau behandelt wird und die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt, wenn die Geburt sorgfältig gemacht und das Neugeborene entsprechend nachbehandelt wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit unter ein Prozent, dass das Kind eine HIV-Infektion bekommt", versichert Rieke. Denn die Infektion des Kindes passiert fast ausschließlich bei der Geburt, über die Nabelschnur wird das Virus nicht übertragen. Seit diese schwangerschafts- und geburtsbegleitende Therapie am Standort Koblenz gemacht werde, habe es dort kein einziges HIV-infiziertes Kind mehr gegeben.
Allgemein bekannt ist der medizinische Fortschritt immer noch nicht. Sowohl Tonja Rausch von der Aidshilfe Trier, als auch Dr. Rieke von der Koblenzer HIV-Ambulanz erleben das immer wieder in Beratungsgesprächen. Auch die Frage, ob das ungeborene Kind durch die HIV-Therapie geschädigt werde, treibe die werdenden Eltern um.
HIV-Medikamente schädigen das Ungeborene und Neugeborene nicht
Doch auch in diesem Punkt gibt die Medizin Entwarnung. Die Medikamente, die die Mutter während der Schwangerschaft einnehmen müsse und die Kinder für zwei bis vier Wochen nach der Geburt bekämen, würden ohne größere Probleme vertragen, so Rieke. Die Kinder würden zudem über Jahre beobachtet und bislang seien keine langfristigen Beeinträchtigungen festgestellt worden.
Es gibt zu wenig HIV-Schwerpunktärzte in RLP
Wer mit HIV infiziert ist, wird regelmäßig in HIV-Schwerpunktpraxen untersucht und medikamentös eingestellt. In der HIV-Ambulanz in Koblenz werden bis zu 1.000 Patientinnen und Patienten behandelt. Die Menschen kommen aus dem weiteren Umkreis, weil es besonders in ländlichen Gebieten keine oder nicht genug HIV-Schwerpunktpraxen gibt. Auf der Internetseite dagnä können sich Betroffene eine Praxis in der Nähe suchen. Auch für schwangere Frauen gibt es nicht genug Gynäkologinnen und Geburtszentren, die Erfahrung mit HIV-Infektionen haben. Richtig problematisch wird es allerdings, wenn die HIV-Infektion erst im Kreissaal entdeckt wird. Das sei dann für alle Beteiligten eine sehr schwierige Situation, sagt Rieke.
Immunologe: HIV-Test im Kreissaal ist zu spät
"Wir HIV-Fachärzte wünschen uns, dass bei einer Schwangerschaft automatisch ein HIV-Test durchgeführt wird - ohne Ansehen der Person. Damit wir durch eine Therapie frühzeitig die Viruslast senken können." Noch sei das nicht der Fall. Sie bekämen immer noch aufgeregte Anrufen aus Kreissälen, erzählt Rieke, weil ein HIV-Test positiv ausfalle.