Welt-AIDS-Tag 2024

Von Geburt an HIV-positiv – "Ich dachte, mein Körper ist was Böses"

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Autor/in
Jeanette Schindler
Jeanette Schindler

Steffi S. ist seit ihrer eigenen Geburt HIV-positiv. Heute hat die 38-Jährige selbst ein Kind und lebt mit ihrem Mann in der Pfalz. Als Kind und Jugendliche mit HIV zu leben, war für sie vor allem wegen der Angst der anderen schwer.

"Ich weiß gar nicht, wann ich erfahren habe, dass ich eine HIV-Infektion habe". Steffi S. erzählt mit ruhiger, warmer Stimme. Wir telefonieren, denn sie möchte anonym bleiben. Steffi ist nicht ihr richtiger Name. "Ich erinnere mich, dass ich meine Mutter gefragt habe, warum ich so viele Medikamente nehmen muss. Weil du sonst stirbst, hat sie geantwortet." Wie alt sie damals war, weiß sie nicht. Nur so viel, sie besuchte noch die Grundschule.

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Steffi wurde 1986 geboren. Vier Jahre zuvor waren die ersten Fälle von HIV-Infektionen in Deutschland bekannt geworden. Das Virus breitete sich weltweit und immer schneller aus. Steffi und ihre Mutter erfuhren erst 1990 von ihrer HIV-Infektionen. Eine Kinderkrankheit wollte einfach nicht richtig ausheilen und Steffi wurde im Krankenhaus gründlich untersucht. "Die Ärzte haben meiner Mutter gesagt, sie und ihre Tochter sind beide HIV positiv und werden sterben. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es meiner Mutter nach dieser Nachricht gegangen ist. Eine Katastrophe." Wo und auch wann sie sich mit dem HI-Virus infiziert hat, weiß die Mutter bis heute nicht. Steffi hat sich bei der Geburt mit dem Virus angesteckt.


In den 1980er und 1990er Jahren lag die Lebenserwartung für HIV-Infizierte bei etwa sieben Jahren nach der Diagnose. Aber Steffi fühlte sich nicht krank und auch die Nebenwirkungen der Medikamente waren erträglich. Was sie quälte als Kind, war die Stigmatisierung. In der Bundesregierung Helmut Kohl wurde damals diskutiert, HIV-Infizierte zu kennzeichnen und sie im Zweifelsfall "wegzusperren". Es ist Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) zu verdanken, dass es anders kam. Ihr Leitsatz war: "Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Betroffenen." Doch in den Köpfen der meisten Menschen war dieser Satz noch lange nicht.

Steffi muss als Kind HIV-Medikamente verstecken

Nur die Eltern der engsten Freunde erfahren von Steffis HIV-Infektion, damit beim Spielen nichts passiert. Ansonsten verheimlicht die Familie die Erkrankung. "Ich musste damals noch täglich 12 Tabletten nehmen. Bei Klassenfahrten hab‘ ich die versteckt und heimlich genommen", sagt Steffi. Je älter sie wird, umso mehr begreift sie, was für eine Krankheit sie hat.

Für mich war klar, dass ich nie eine Familie haben werde, dass ich nie einen Abschluss machen werde. Ich dachte, ich werde nicht alt. Mein Körper ist was Böses.

Sie war überzeugt, sagt sie, die Menschen würden sie nicht mehr mögen, wenn sie wüssten, was mit ihr los ist. Die Pubertät, auch ohne HIV-Infektion kompliziert genug, war für Steffi, eine Phase voller Angst, Unsicherheit und dem Gefühl von Ausgegrenzt-Sein. "Sexualität war für mich irgendwie verkrampft. Ich hab immer gesagt, dass ich die Pille nicht vertrage und wir deshalb Kondome benutzen müssen."

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Moderne HIV-Medizin ermöglicht ein normales Leben

Doch um die Jahrtausendwende macht die AIDS-Forschung enorme Fortschritte. Sogenannte Antiretrovirale Mittel werden eingesetzt, mit denen das HI-Virus gebremst werden kann. Steffis Überlebenschancen wachsen. Und die Mittel werden so gut, dass das Virus so weit unterdrückt werden kann und auch keine Ansteckungsgefahr mehr besteht. In Steffis Blut ist das HI-Virus nicht mehr nachweisbar und sie kann ungeschützten Sex haben und auch ein Kind bekommen. Trotzdem traut sie sich nicht, mit ihren Freunden und ihrem Partner darüber zu sprechen.

"Ich war eingeschüchtert von der Welt, von dem was ich bei Ärzten erlebt habe, durch die Berichterstattung in den Medien. Ich hatte große Angst, ganz allein dazu stehen, wenn ich das jemandem erzähle."

Steffi bringt trotz HIV-Infektion gesundes Kind zur Welt

Als sie mit 29 Jahren schwanger wurde, habe sie "Rotz und Wasser geheult", erzählt sie. Sie hatte Angst, sie könnte ihr Kind mit HIV anstecken. "Die Ärztin hat mir dann versichert, dass das nicht möglich ist. Ich bin schon sehr lange unter der Nachweisgrenze." Als sie ihrem Partner von ihrer Krankheit erzählt, ist sie überzeugt, dass damit alles aus ist. "Ich dachte, ich muss jetzt wegziehen und irgendwo ein neues Leben anfangen." Gekommen ist es dann ganz anders. "Mein Mann hat gefragt: Muss ich mir Sorgen um unsere Tochter machen? Muss ich mir Sorgen um Dich machen? Nein? Dann seh‘ ich da kein Problem."

Ihre Tochter kam 2015 gesund auf die Welt und der Rückhalt ihres Mannes hat für Steffi alles geändert. "Ich fühle mich durch ihn gefestigt. Ich hab‘ nicht mehr so große Angst vor Ausgrenzung, weil ich weiß, er hält zu mir." Ihre Tochter weiß noch nichts von der HIV-Infektion ihrer Mutter. "Ich hab es ihr noch nicht erzählt, weil ich nicht will, dass sie sich Sorgen um mich macht. Kinder erzählen auch viel und wer weiß, was sie dann zu hören bekäme. Ich will sie damit einfach noch nicht belasten."

Das einzig Schlimme für mich war, dass die Menschen Angst hatten.

Seit zwei Jahren besucht Steffi eine Selbsthilfegruppe. "Es tut gut, mit Leuten zu sprechen, die das Gleiche erleben, die wissen, um was es geht." Steffi ist heute 38 Jahre alt und lebt schon 27 Jahre länger als die Ärzte ihr zu Anfang prognostiziert hatten. Sie habe nie wirklich körperlich gelitten, sagt sie, sie habe keine Schmerzen gehabt oder große Nebenwirkungen durch die Medikamente. "Das einzig Schlimme für mich war, dass die Menschen Angst hatten."

Dass sie jetzt ihre Geschichte, wenn auch anonym erzählen kann, liegt an der Liebe ihres Mannes, sagt sie, und an den vielen guten Erfahrungen, die sie in den letzten Jahren gemacht hat. "Ich kann es oft immer noch nicht fassen, dass ich noch lebe, eine Familie und einen Beruf habe." Sie wolle anderen Mut machen. Und eigentlich wünsche sie sich auch, dass eine HIV-Infektion wie jede andere Erkrankung angesehen wird. "Aber dann denke ich wieder, wenn es normal wird, werden die Leute unvorsichtig. Dann würde sich die Infektion ausbreiten."

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