Russland, China und ihre Freunde: Was ist vom BRICS-Gipfel zu erwarten?

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Autor/in
Andreas Herrler

Die sogenannten BRICS-Staaten kommen heute und morgen zu einem Gipfeltreffen in der zentralrussischen Stadt Kasan zusammen. "BRICS" steht für die fünf Gründerstaaten Brasilien, Russland, Indien und China. Später kam Südafrika dazu. Dieses Jahr sind weitere Staaten beigetreten. Die Türkei will noch beitreten, deshalb ist auch Präsident Erdogan heute dabei. Das alles auf Einladung von Russlands Präsident Wladimir Putin. Was der erreichen will und was das für den Westen bedeuten könnte, darüber hat SWR-Aktuell-Moderator Andreas Herrler mit dem Russland-Experten Alexander Libman von der FU Berlin gesprochen.

SWR Aktuell: Bei diesem Gipfel heute geht es um ich zitiere eine Stärkung der Vielfalt für eine gerechte, globale Entwicklung und Sicherheit. Sieht Gastgeber Russland sich tatsächlich als Garant für Sicherheit?

Alexander Libmann: Das glaube ich nicht. Es geht hier primär um die Entwicklung der Wirtschaft zwischen den BRICS-Staaten. Aber der entscheidende Punkt ist: Jedes Land kommt zu diesem Gipfel mit eigenen Zielen und eigener Agenda. Und es ist zu sehen, wie diese Ziele sich zusammenbringen lassen.

SWR Aktuell: Wie muss man sich diesen BRICS-Verbund vorstellen? Präsident Putin hat ja gesagt, BRICS sei nicht antiwestlich, sondern einfach nicht westlich. Wie muss man das verstehen?

Libmann: Interessanterweise ist eigentlich eine gute Beschreibung. BRICS ist eine Vereinigung von Staaten, die ursprünglich gar nicht von diesen Staaten selbst ausgedacht wurde. Es kommt aus einem Bericht einer Investmentbank, und jetzt ist es mittlerweile eine Gruppe, die größere Volkswirtschaften, größere Staaten, aber auch größere Staaten im Sinne der Bevölkerung, der Fläche, der nichtwestlichen Welt vereinigt. Die Ziele, die Ambitionen dieser Staaten sind unglaublich unterschiedlich. Wenn es bei China und bei Russland wirklich eher um antiwestlich geht, sind andere Staaten da viel vorsichtiger und suchen primär nach konkreten wirtschaftlichen oder politischen Vorteil.

SWR Aktuell: Verspricht denn Russlands Präsident Putin sich durch diese BRICS-Staaten tatsächlich nur wirtschaftliche Zusammenarbeit? Oder geht es da auch um Unterstützung bei der Rechtfertigung seines Kriegs gegen die Ukraine?

Libmann: Offiziell ist die Ukraine nicht auf der Agenda des Treffens. Das wurde auch ganz klar bestätigt. Aber ein BRICS-Treffen ist natürlich für Putin sehr wichtig, um zu bestätigen, dass Russland nicht isoliert ist, dass Russland nach wie vor Verbindungen im globalen Süden hat und das Ausmaß des Treffens bestätigt das aus seiner Sicht ziemlich klar.

SWR Aktuell: Auch wenn der Ukraine-Krieg offiziell gar nicht auf der Tagesordnung steht: Kann man denn abschätzen, wie die anderen BRICS-Staaten zu diesem russischen Krieg gegen die Ukraine stehen?

Libmann: Ich glaube, wenn man das ganz kurz zusammenfasst, dann wäre die Situation so: Es gibt BRICS-Staaten, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine eher ablehnen als die anderen. Alle BRICS-Staaten sind da eindeutig eher negativ gestimmt. Der Punkt ist aber, dass sie den Krieg nicht als Anlass sehen, wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Russland zu kappen. Und einige von diesen Staaten, China insbesondere, sehen den Westen eher verantwortlich für den Krieg als Russland. Da ist tatsächlich der Unterschied. Aber was gemeinsam ist: Für alle diese Staaten ist der Krieg am Ende eine lokale europäische Angelegenheit, die deren Beziehungen zu Russland nicht im starken Maße beeinflusst.

SWR Aktuell: Sie sagen, man will die wirtschaftlichen Beziehungen nicht kappen. Man wird sie möglicherweise sogar noch ausbauen, eben weil es ja auch diverse Sanktionen der EU gegen Russland gibt. Geht es also unterm Strich heute auch um die Frage, wie man diese Sanktionen aushebeln kann?

Libmann: Sie haben aus meiner Sicht eines der wichtigsten Themen angesprochen, wo tatsächlich große Fragezeichen bestehen, aber wo die Entwicklungen ganz wichtig sind: Das sogenannte BRICS-Zahlungssystem. Die Idee ist, dass BRICS die Transaktionen zwischen den Staaten durch ein alternatives Zahlungssystem abrechnen lässt, das von Zentralbanken geleitet wird. Das hat sehr viel mit Sanktionen zu tun, nicht nur mit Sanktionen gegen Russland und grundsätzlich westlichen Sanktionen. Und das würde in der Zukunft der Wirksamkeit der westlichen Strafmaßnahmen massiv schwächen.

SWR Aktuell: Die Türkei wird heute auch dabei sein. Präsident Erdogan kommt als Gast, weil die Türkei perspektivisch bei BRICS mit dabei sein will. Was braut sich da unter Russlands Führung zusammen, und wie gefährlich kann das für Europa sein?

Libmann: Es ist nichts unter Russlands Führung, was sich da vereinigt. Russland ist nicht die größte Wirtschaft im Sinn des Bruttoinlandsprodukts, bei weitem nicht die größte Wirtschaft, ist auch nicht das Land mit der größten Bevölkerung. Ich würde dieses Treffen nicht unbedingt als gefährlich für den Westen einstufen. Es gibt mehrere Staaten mit sehr unterschiedlichen Interessen, sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen, die sich von unseren Wahrnehmungen zum Teil massiv unterscheiden. Und diese Staaten haben wirtschaftliches Potenzial und politisches Potenzial. Das muss man einfach berücksichtigen, wenn man Außenpolitik oder Wirtschaftspolitik betreibt.

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Andreas Herrler