Rund zwei Jahre nachdem Russland den Angriffskrieg in der Ukraine begann, gibt es zahlreiche Diskussionen, wie das Land weiter unterstützt werden kann. Die FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann eine deutsche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern gefordert. Der Tod von Kreml-Gegner Nawalny verlange eine solche Reaktion.
Abseits der Diskussionen in der Politik müssen die Menschen in der Ukraine nun bald zwei Jahre mit einer ständigen Bedrohung durch russische Luftangriffe, mit Artilleriebeschuss oder auch mit dem Verlust von Angehörigen leben, die an der Front im Dienst sind. Der Schriftsteller Christoph Brumme lebt im Osten der Ukraine und berichtet im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Andreas Böhnisch, wie sich das Leben in dem kriegsversehrten Land anfühlt und was er erwartet.
SWR Aktuell: Sie haben uns immer wieder in Interviews geschildert, dass sie froh sind, morgens gesund und unversehrt aufzuwachen. Wie geht es Ihnen heute früh?
Christoph Brumme: Das ist heute auch der Fall. Die Nacht war ruhig, es gab keine Warnung vor anfliegenden Raketen. Das ist erstaunlich, weil es vor zwei Tagen sehr heftig war. Da gab es alle zwei, drei Stunden Luftalarm und natürlich wird einem immer ein bisschen Angst und Bange.
SWR Aktuell: Also auch nach zwei Jahren ist der Krieg kein Alltag für sie.
Brumme: Er ist Alltag - leider. Viele Freunde sind an den Fronten und mit vielen stehe ich in Kontakt. Viele werden jetzt noch zum Militär gehen, Freiwillige meistens. Deswegen: Der Krieg ist allgegenwärtig, und die Sirenen hört man - auch in den Köpfen. Man sieht die verängstigten Kinder, wenn Luftalarm ist, also der Schrecken hält nach wie vor an.
SWR Aktuell: Was ist denn heute in ihrem Leben anders als vor zwei Jahren?
Brumme: Ich kann keine Romane mehr schreiben. Ich kann mich nicht mehr auf Literatur konzentrieren. Ich beschäftige mich fast nur mit Krieg und Politik. Ich staune auch und bin traurig, was da in Deutschland passiert. Sie sprechen von der Zeitenwende, aber es sind ja doch mehr Worte als Taten. Vielleicht hat man das in Deutschland mitbekommen: Ex-Präsident Medwedjew in Russland hat wieder damit gedroht, Berlin in Schutt und Asche zu schießen, und in Deutschland diskutiert man darüber, ob man 100 oder 200 Milliarden Euro für die Ausstattung der Bundeswehr hat. Das ist unverständlich.
SWR Aktuell: Sie haben Deutschland immer wieder kritisiert wegen seiner zögerlichen Haltung, die Ukraine in diesem Krieg gegen Russland zu unterstützen. Nun tut Deutschland inzwischen aber mehr: Stimmt Sie das nicht ein Stück weit versöhnlich?
Brumme: Es geht nicht um Versöhnlichkeit. Es geht um konkrete Fakten: Vor zwei Tagen habe ich gelesen, dass die Bundesregierung bis heute nicht weiß, wie viele Artilleriegeschosse in Deutschland in den letzten zwei Jahren produziert wurden. Da muss es doch eine zentrale Kommission, eine zentrale Taskforce geben, die die Verteidigungsbemühungen koordiniert.
SWR Aktuell: Haben Sie Angst, dass Russland den Krieg gewinnt?
Brumme: Nein, Russland wird diesen Krieg nicht im Sinne seiner Kriegsziele gewinnen. Das habe ich immer gesagt. Die Ukrainer machen sich keine Illusionen - im Gegensatz zu den Deutschen. Sie werden kämpfen, sie sind bereit zu kämpfen und sie haben es ja auch oft gezeigt, dass sie das erfolgreich tun können. Aber wenn sie vom Westen im Stich gelassen werden, nur halbwegs halbherzig unterstützt werden, dann wird es natürlich schwierig.
SWR Aktuell: Die halbherzige Unterstützung des Westens, die Sie da ansprechen, die könnte zunehmen. Sollte Donald Trump nächster US-Präsident werden, dann könnte der wichtigste Unterstützer für die Ukraine wegfallen. Das sind zurzeit die Vereinigten Staaten. Was dann?
Brumme: Europa ist eigentlich ökonomisch stark genug, sich selbst verteidigen zu können. Die Amerikaner würden weiterhin den nuklearen Schutzschirm anbieten und den Atlantischen Ozean sichern, und den Rest muss Europa selbst machen. In Europa leben mehr Menschen als in Russland, Europa hat die größere Wirtschaftskraft. Es fehlt der politische Wille und die politische Klarheit.
SWR Aktuell: Also sie haben keine Sorge davor, dass die Vereinigten Staaten als Unterstützer für die Ukraine in diesem Krieg gegen Russland ausfallen könnten.
Brumme: Das ist nicht die entscheidende Frage. Meines Erachtens ist in dieser Diskussion viel heiße Luft, weil die objektiv gegebenen Umstände und das Verhalten "Putin-Russlands" zwingen den Westen dazu, sich selbst zu verteidigen. Es ist nur traurig, dass man das so spät versteht - desto mehr Ukrainer müssen sterben.
SWR Aktuell: Viele Ukrainerinnen und Ukrainer müssen sterben - über eine Million sind aber in den vergangenen zwei Jahren auch nach Deutschland geflüchtet. Für Sie, Herr Brunner, kam das nie infrage. Das haben Sie uns immer wieder in Interviews gesagt. Werden Sie auch in Zukunft bei dieser Entscheidung bleiben?
Brumme: Ja, natürlich. Ich werde solange hier bleiben, wie es möglich ist, wie ich mich lebendig fortbewegen kann. Ich könnte nicht in Deutschland leben. Ich fürchte, es würde mich aggressiv machen, welche Illusionen sich die Deutschen machen über Russland und dass sie angesichts solcher morbiden Vernichtungsphantasien, die da in Moskau permanent geäußert werden, immer noch von Verhandlungen mit Putin, mit Terroristen, mit Massenmördern träumen. Ehrlich gesagt würde ich verrückt werden in Deutschland.