Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg liebäugelt mit der verbindlichen Grundschulempfehlung. Sprich: Lehrende entscheiden, ob ein Kind aufs Gymnasium darf, nicht die Eltern. „Verbindlicher“ werden müsse die Empfehlung, sagte kürzlich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), eine „klare Steuerung“ verlangt der CDU-Landesvorsitzende Manuel Hagel. Beide treibt die Sorge um, dass die beschlossene Rückkehr zu „G9“ einen Sturm auf das Gymnasium auslöst.
Wie sehr Lehrende mit einer Grundschulempfehlung danebenliegen können, habe ich kürzlich selbst erlebt. Die Tochter einer befreundeten kroatischen Familie schreibt in der vierten Klasse nur Einser und Zweier. Trotzdem erhielt sie eine Realschulempfehlung. Die Lehrerin begründete das mit dem niedrigen Bildungsstand der Eltern, die ihr bei den Hausaufgaben nicht helfen könnten. Gemeinsam gingen wir auf Gymnasien zu. Am Ende hatte das Mädchen zwischen ihnen die Qual der Wahl.
Die verbindliche Grundschulempfehlung benachteilige Arbeiterkinder oder Kinder mit Migrationshintergrund gegenüber Kinder aus Akademikerhaushalten, kritisiert Stefan Fulst-Blei, bildungspolitischer Sprecher der baden-württembergischen SPD-Landtagsfraktion. Ich teile seine Meinung. Lehrende mögen sich um faire Empfehlungen bemühen, doch auch sie leben in Status- und Meinungsblasen.
Wer Angst davor hat, dass demnächst sechs von zehn Kinder aufs Gymnasium gehen, zählt nach meinem Eindruck Erbsen. Ein Bundesland hat eine bessere Zukunft, wenn es möglichst viele Absolventinnen und Absolventen des höchsten Bildungsabschlusses hervorbringt.