Smart - oder hart? In der Nacht auf Montag, 16. September 2024 sind die vergangene Woche angeordneten Grenzkontrollen angelaufen. Die Wirtschaft beobachtet die Entwicklung mit gemischten Gefühlen, denn Verzögerungen stören die Abläufe und können hohe Kosten verursachen.

Betriebe fürchten Staus

Grenzkontrollen: Was kosten sie die Wirtschaft?

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Katharina Fortenbacher-Jahn
Katharina Fortenbacher-Jahn, SWR Aktuelle Wirtschaft

Stop oder Go? Für die Wirtschaft in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist entscheidend, ob die Grenzkontrollen zu Staus führen. Das träfe Betriebe und zehntausende Grenzgänger.

Für die Wirtschaft in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz könnten die Grenzkontrollen spürbare Folgen haben. Staut es sich - und wenn ja, wie lang? Wie smart - wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verspricht - oder doch hart werden die Kontrollen? Das ist die entscheidende Frage für Unternehmen und Beschäftigte entlang der Grenzen nach Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Hier verlaufen wichtige europäische Transport-Routen. Es gibt auch viel Pendler- und Ausflugsverkehr.

Allein aus Frankreich pendeln rund 50.000 Menschen regelmäßig zur Arbeit über die Grenzübergänge nach Deutschland. Zehntausende Lkw und Autos überqueren täglich die Grenzübergänge, beispielsweise allein 27.000 täglich die Grenze zwischen Straßburg und Kehl. Firmen beiderseits der Grenzen sind auf pünktliche Transporte angewiesen. Verzögerungen durch Kontrollen können Zeit und Geld kosten.

Pflege, Gastronomie und Logistik: große Auswirkungen möglich

Zum Start der Kontrollen hoffen Unternehmen und Beschäftigte entlang der Grenzen zwischen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und Frankreich, Belgien und Luxemburg, dass es nicht zu großen Staus kommt. Beim Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen in Baden (wvib Schwarzwald AG) wird der Start der Kontrollen zunächst beobachtet. Man müsse abwarten, wie sie in der Praxis liefen, sagte ein Sprecher dem SWR. Der Verband rechnet mit Auswirkungen vor allem für Pendler und plädiert für kluge Lösungen, wie sie in der Coronazeit schon angewandt worden seien, damit es nicht zu drastischen Auswirkungen auf die Wirtschaft komme.

Die Industrie- und Handelskammern (IHK) in den Grenzregionen zu Frankreich und Luxemburg rechnen mit spürbaren Folgen für die angrenzenden Regionen - je nachdem wie die Kontrollen gestaltet werden. Wartezeiten aufgrund von Grenzkontrollen kosteten Zeit und damit letztendlich Geld, erklärt Alwin Wagner, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein auf SWR Anfrage. Diese IHK ist Schwerpunktkammer für den französischen Markt im IHK-Netzwerk.

Die verstärkten Grenzkontrollen müssen maßvoll sein.

Die Unternehmen entlang des Oberrheins seien darauf angewiesen, dass die Arbeitskräfte pünktlich an ihrem Arbeitsplatz seien, genauso wie auf den planbaren Austausch von Waren und Dienstleistungen, erklärte Wagner. Deshalb sollten Grenzkontrollen mit Bedacht gewählt werden und am Ende der geplanten sechs Monate auch einen nachweisbaren Effekt haben.

Die Leiterin der Stabstelle für grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der IHK Südlicher Oberrhein, Pascale Mollet-Piffert, sagte dem SWR, die Auswirkungen seien noch schwer abzuschätzen. Erfahrungen aus der Coronazeit zeigten, dass sich Pendler und Betriebe auf Verzögerungen einstellen müssten. Allein aus Frankreich pendelten regelmäßig rund 50.000 Beschäftigte zur Arbeit in deutschen Unternehmen. Besonders im Schichtbetrieb in der Pflege oder in Produktionsbetrieben sei es wichtig, dass sie verlässlich zur Arbeit kommen könnten.

Die IHK Trier erklärte, die Grenzkontrollen widersprächen dem europäischen Gedanken eines freien Personen- und Warenverkehrs und drohten, sich negativ auf die regionale Wirtschaft auszuwirken. Regionaler Einzelhandel und Gastronomie profitierten stark von luxemburgischen Kunden. "Wenn aufgrund langer Wartezeiten an den Grenzen weniger luxemburgische Kunden nach Trier kommen, führt das zu Umsatzrückgängen in der regionalen Wirtschaft", sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Glockauer in Trier. Zudem sei durch die Kontrollen im deutsch-luxemburgischen Grenzverkehr kein spürbarer Beitrag zur Minderung der bundesweiten illegalen Migration zu erwarten.

Die Industrie setzt auf möglichst schlanke Abläufe bei den Kontrollen. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bunds der Deutschen Industrie (BDI), Holger Lösch, erklärte: "Handel und Lieferketten dürfen durch die Kontrollen nicht unnötig beeinträchtigt werden." Er forderte, die Kontrollen müssten flexibel, effizient und unbürokratisch ablaufen.

Der freie grenzüberschreitende Waren- und Personenverkehr ist für die international vernetzte deutsche Industrie entscheidend.

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Verkehrs- und Handelsverbände halten - je nach Umsetzung - deutliche Auswirkungen und Kosten für möglich: "Jegliche Art der Einschränkung des täglichen Grenzverkehrs kann im schlechtesten Fall zu Verzögerungen und Staus führen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth und forderte, es müsse Sorge getragen werden, dass Lkw in der Praxis nicht im allgemeinen Stau stecken blieben.

Handel und Logistik: Sorge um die Lieferketten

Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) befürchtet bei länger dauernden Kontrollen "erhebliche Mehrkosten und Aufwand für betroffene Transportunternehmen". Diese könnten insbesondere für die in den Grenzregionen angesiedelten Betriebe mit Schwerpunkt im grenzüberschreitenden Verkehr "durchaus existenzbedrohliche Ausmaße annehmen", sagte BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt. Besonders für Unternehmen, die Just-in-Time-Fahrten durchführten, könnten dichte Grenzkontrollen zu einem sehr schwerwiegenden Problem werden.

Letztendlich kommt es darauf an, wie intensiv kontrolliert wird, und welche Infrastruktur an den Grenzen da ist.

Erfahrungen von den Grenzen zu Österreich oder auch der Schweiz, Polen und Tschechien zeigten, dass Kontrollen zu Staus und Wartezeiten führen könnten. Lieferketten würden zunehmend unkalkulierbar. Die offenen europäischen Binnengrenzen seien wichtige Errungenschaften. Sie seien für das Transport- und Logistikgewerbe von "immenser Bedeutung", sagte Dirk Engelhardt vom BGL.

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Bundesinnenministerium: Smarte Kontrollen mit wenig Auswirkungen

Bundesinnenministerin Faeser hatte erklärt, sie erwarte durch die startenden Grenzkontrollen keine größeren Einschränkungen für Pendler und Reisende. Es werde keine langen Staus, sondern smarte Kontrollen geben, sagte die SPD-Politikerin der "Bild am Sonntag". Die Grenzkontrollen seien stichprobenartig, so wie die aktuelle Lage es erfordere. In einer Mitteilung des Bundesinnenministeriums steht jedoch, zeitweise Beeinträchtigungen des Grenzverkehrs könnten nicht ausgeschlossen werden. Vertreter der Bundespolizei haben ebenfalls von stichprobenartigen Kontrollen gesprochen. In Baden-Württemberg gibt es bereits Kontrollen an der Grenze zur Schweiz und seit dem Sommer auch zu Frankreich. Das lag an den Sportgroßereignissen diesen Sommer. Zeitweise hat das zu Verkehrsbehinderungen geführt, beispielsweise zwischen Straßburg und Kehl, aber nicht zu großen Staus.

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