Justizministerin will machen, was rechtlich möglich ist

Illerkirchberg als neuer Anlass: Streit um Abschiebungen nach schweren Straftaten geht weiter

Stand

Nach dem tödlichen Angriff auf zwei Mädchen in Illerkirchberg rückt die Frage nach Abschiebungen von Menschen nach schweren Straftaten zunehmend in den Fokus. Muss das System geändert werden?

Im Streit mit dem Bund um die Abschiebung von Flüchtlingen nach schweren Straftaten dringt Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) auf Konsequenzen. "Wir müssen schauen, wo wir die Sicherheit der Menschen schützen, wo wir stärker präventiv ansetzen und konsequenter sein müssen", sagte die CDU-Politikerin nach mehreren erfolglosen Versuchen, einen verurteilten Vergewaltiger aus Illerkirchberg (Alb-Donau-Kreis) in seine afghanische Heimat abzuschieben. In jedem Fall gelte: "Was rechtlich möglich ist, auch durchsetzen!"

Staaten dürften nicht pauschal von Abschiebungen ausgeschlossen werden, so Gentges gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Es sei vielmehr wichtig, bei den Fällen stärker zu unterscheiden und zu fragen, was zumutbar sei für die abzuschiebenden Straftäter und Gefährder und auch für die Sicherheit des Landes. Liege bei einem Straftäter oder einem Gefährder kein Abschiebungsverbot vor, nachdem der Fall durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geprüft worden sei, müsse alles versucht werden, um das rechtlich Mögliche auch faktisch durchzusetzen. Es gehe ausdrücklich um Entscheidungen in Einzelfällen und bei hochgefährlichen Einzeltätern. "Was wir für die Sicherheit tun können, müssen wir tun", sagte die Ministerin.

Afghane nach Vergewaltigung eines Mädchens zurück in Illerkirchberg

Ihr Justizministerium setzt sich seit Monaten in Berlin für die Abschiebung eines Mannes aus Afghanistan ein, der vor drei Jahren an der Vergewaltigung eines Mädchens in einer Asylunterkunft in Illerkirchberg beteiligt gewesen war. Er war 2020 verurteilt worden, ist aber wieder auf freiem Fuß. Gentges hatte sich bereits im Februar 2022 schriftlich in Berlin dafür stark gemacht, dass der Mann in sein Herkunftsland Afghanistan abgeschoben werden kann. "Abschiebungen nach Afghanistan von Gefährdern und Personen, die schwere Straftaten begangen haben, sollten nach meinem Dafürhalten daher zügig wiederaufgenommen und die dazu erforderlichen Anstrengungen alsbald unternommen werden", heißt es in einem der Briefe an Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD).

Zudem warnt Gentges vor den Folgen, würde der Mann nicht abgeschoben: "Der soziale Empfangsraum, welcher den Betroffenen nach seiner Haftentlassung erwartet, ist ungünstig, zumal der Straftäter keine Zukunftsperspektive in Deutschland hat", schrieb sie am 8. Februar 2022 an Faeser.

Justizministerin warnt vor Folgen, wenn Abschiebung nicht ausgeführt wird

Sobald Ausländer eine Straftat begehen, müssen sie in Deutschland mit einer sogenannten Ausweisung und letztlich auch einer Abschiebung rechnen. Seit Jahren steigt die Zahl der Ausweisungen von verurteilten Ausländern, es bleibt aber eine enorm große Kluft zwischen Ausreisepflichtigen und tatsächlich Abgeschobenen. Mal fehlen Reisedokumente oder sie sind ungültig. Ohne eine geklärte Identität kann aber niemand abgeschoben werden. Dann wieder weigern sich Herkunftsländer, Ausgewiesene aufzunehmen. Auch der Gesundheitszustand oder eine Ausbildung können Gründe sein.

Auch der Afghane sollte nach seiner Haftentlassung eigentlich abgeschoben werden. Die Bundesregierung hat Abschiebungen nach Afghanistan allerdings seit August 2021 ausgesetzt. Grund dafür ist die Sicherheitslage vor Ort. Laut Aufenthaltsgesetz soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat unter anderem abgesehen werden, wenn Leib, Leben oder Freiheit dort konkret gefährdet sind. Nach kurzer Zeit in Abschiebehaft, wurde der Mann daher wieder entlassen und ausgerechnet nach Illerkirchberg zurückgebracht, den Ort des Verbrechens.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Ministerin möchte starken Staat

Es brauche einen starken Staat, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht aufs Spiel zu setzen, warnte Gentges. Der Fall des afghanischen Staatsangehörigen sei ein Beispiel dafür, dass die Möglichkeiten nicht ausreichten, wenn es um die Abschiebung von Straftätern nach schweren Taten gehe. "Das ist ein inakzeptabler Zustand. Das können wir den Menschen nicht mehr erklären. In Abwägung aller Umstände wäre eine Abschiebung in diesem Fall gerechtfertigt gewesen", ergänzte die CDU-Politikerin. Sie bezweifelt, dass Faeser keine Wahl gehabt hat. "Der Bundesinnenministerin waren meines Erachtens nicht die Hände gebunden", sagte Gentges. Es sei rechtskräftig und gerichtlich entschieden worden, dass kein Abschiebeverbot vorliege.

Während sie ihren Parteifreund, Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), hinter sich weiß, zeigt sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) distanziert. Er betonte schon am Dienstag, dass nicht das Land entscheide, wohin abgeschoben werden könne.

Keine Abschiebung von Straftäter: FDP-Fraktionschef kritisiert Regierung

Der Landesregierung schwere Vorwürfe machte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. "Möglicherweise ist es die Schuld von Frau Faeser, dass er nicht abgeschoben werden kann, aber mit Sicherheit ist es die Schuld der Landesregierung, wenn er wieder in seine kleine Gemeinde kommt", sagte Rülke der Deutschen Presse-Agentur.

Der FDP-Politiker ist mit dem absoluten Abschiebestopp nicht einverstanden: "Solche Leute gehören abgeschoben - egal wohin", sagte er. "Schwerverbrecher dürfen nicht davon profitieren, dass sie sich in Regionen, wo sie möglicherweise hin abgeschoben werden, in Gefahr begeben würden. Wenn diese Gefahr besteht, sollen sie sich gefälligst anständig verhalten. Und wenn sie trotzdem vergewaltigen oder andere schwere Straftaten begehen, dann geschieht es ihnen auch recht, wenn sie abgeschoben werden."

Die Zahl der Abschiebungen aus Baden-Württemberg ist zuletzt nach einem Rückgang während der Corona-Pandemie wieder gestiegen. Im Jahr 2019 wurden nach früheren Angaben des Justizministeriums noch 2.648 Menschen in ihre Heimatländer oder in das EU-Land zurückgeführt, in dem sie zuerst die EU betreten haben. Im Jahr 2020 und 2021 hingegen waren es 1.362 sowie 1.328 Menschen, im laufenden Jahr 2022 mussten bis Ende November 1.547 Menschen zurück.

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