Mehr als drei Dutzend sogenannte Reichsbürger, Selbstverwalter und Extremisten dürfen in Baden-Württemberg ganz offiziell erlaubnispflichtige Waffen besitzen. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der SPD-Fraktion hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Insgesamt 31 "Reichsbürger" und Selbstverwalter, sechs Rechtsextremisten und eine Person, die dem "auslandsbezogenen Extremismus" zugerechnet wird, besitzen demnach eine waffenrechtliche Erlaubnis. Das Ministerium beruft sich dabei auf eine Abfrage bei den Waffenbehörden im Land zum 1. Februar. Ein Jahr zuvor, so berichtete das Ministerium auf Nachfrage, waren es noch 23 "Reichsbürger" und Extremisten in Waffenbesitz.
Welche Waffen besitzen die "Reichsbürger"?
Die gut drei Dutzend "Reichsbürger" und Extremisten besitzen demnach 27 Waffenbesitzkarten, 25 sogenannte Kleine Waffenscheine und einen Europäischen Feuerwaffenpass. Begründet wurde der Waffenbesitz 17 Mal mit Sportschießen, vier Mal mit der Jagd, vier Mal mit sogenanntem Altbesitz, zwei Mal mit Erbe und einmal mit der Verwendung einer Seenotsignalpistole für die Schifffahrt.
Ablehnung des Staates Wie gefährlich ist die "Reichsbürger"-Szene in BW?
Die Zahl der sogenannten Reichsbürger nimmt zu, auch in Baden-Württemberg. Die Bundesstaatsanwaltschaft führt inzwischen vermehrt Prozesse gegen die Szene. Doch wie gefährlich sind die Reichsbürger?
Der Kleine Waffenschein erlaubt es seinem Inhaber oder seiner Inhaberin, bestimmte Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen bei sich zu haben. Benutzt werden dürfen sie nur bei Notwehr oder Notstand. Die Waffenbesitzkarte erlaubt den Erwerb und den Besitz, nicht aber das Führen von Waffen. Die Karte berechtigt aber zur geregelten Nutzung. Trägerinnen und Träger einer Karte müssen ein berechtigtes Bedürfnis nachweisen: zum Beispiel als Sportschütze, als Jäger oder als Waffensammler. Der Europäische Feuerwaffenpass ermöglicht Inhaberinnen und Inhabern von Waffenbesitzkarten, Waffen und Munition vorübergehend in andere EU-Mitgliedsstaaten oder Schengenstaaten mitzunehmen.
Innenministerium: "Waffenbehörden entscheiden über Waffenbesitz"
Stellt sich also die Frage, warum diese "Reichsbürger" und Extremisten ganz offiziell noch eine Waffe besitzen dürfen. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärt das mit dem Faktor Zeit. Die bräuchten die Waffenbehörden nämlich, um das rechtsstaatliche Verfahren durchzuführen und den Extremisten die Waffenerlaubnis zu entziehen. So müssten etwa Fristen für Stellungnahmen beachtet werden.
Dass man alle "Reichsbürger" entwaffnen kann, hält der Sprecher für unrealistisch. Man werde die Zahl nie ganz auf Null bringen, insbesondere weil der Verfassungsschutz die Szene durchleuchte und immer mehr "Reichsbürger" ausfindig mache. Die Szene sei zudem während der Corona-Pandemie deutlich gewachsen. Zuletzt wurden ihr in Baden-Württemberg 3.800 Personen zugerechnet.
Die "Reichsbürger" streben laut Verfassungsschutz einen "umfassenden Systemausstieg" an. Gleichzeitig wollen sie eine parallele Wirtschaft aufbauen. Darüber hat der SWR in seiner Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" am 30. März 2023 berichtet.
SPD kritisiert Innenminister Strobl
Die SPD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag zeigt sich empört. Sie wirft Innenminister Thomas Strobl (CDU) Tatenlosigkeit vor. "Es ist schlimm genug, wenn sich Extremisten illegal Waffen beschaffen. Dass sie aber sogar Waffen mit staatlicher Erlaubnis horten, ist ein Skandal", sagte Sascha Binder, innenpolitischer Sprecher der Fraktion.
Auch sein Parteikollege Boris Weirauch verlangt von Strobl nun Taten. Der SPD-Verfassungsschutzexperte forderte von Strobl einen ministeriellen Erlass an die Waffenbehörden, um dafür zu sorgen, dass sich Verfassungsfeinde nicht länger bewaffnen könnten. Die Lehre müsse der Minister aus der "Reichsbürger"-Razzia von Reutlingen ziehen.
Innenministerium BW sieht Bund in der Pflicht
Das baden-württembergische Innenministerium wies die Kritik in einer Stellungnahme am Sonntag zurück. Ein Sprecher teilte mit, zuletzt habe die Innenministerkonferenz auf einen Vorschlag aus Baden-Württemberg hin beschlossen, dass das Waffenrecht "in Richtung Extremismus" weiter verschärft werden solle. Hier müsse nun die Bundesinnenministerin endlich liefern.
Polizist in Reutlingen angeschossen "Reichsbürger"-Razzia: Ampel-Politiker für Konsequenzen
Die Bundespolitik ist alarmiert, nachdem ein Polizist bei Durchsuchungen im "Reichsbürger"-Milieu angeschossen worden ist. Auch der Generalbundesanwalt betont die Gefahr durch die Szene.
"Reichsbürger" aus Reutlingen bereits zu Geldstrafe verurteilt
Im März war bei einer Razzia gegen die Szene eine Durchsuchung in Reutlingen eskaliert - ein mutmaßlicher "Reichsbürger" schoss auf einen SEK-Beamten und verletzte diesen am Arm. Innenminister Strobl sprach später von einem "perversen" Waffenarsenal, das bei dem Mann gefunden worden sei.
Details zu Durchsuchung Mutmaßlicher "Reichsbürger" in Reutlingen hortete viele Waffen
BW-Innenminister Strobl hat Details zur gestrigen Durchsuchung bei einem mutmaßlichen "Reichsbürger" genannt. Es sei ein "erschreckendes Waffenarsenal" gefunden worden.
Der mutmaßliche "Reichsbürger" aus Reutlingen sitzt derzeit wegen mehrfachen versuchten Mordes in Untersuchungshaft. Nach Angaben aus dem Ministerium besaß der Sportschütze vier Waffenbesitzkarten, einen Kleinen Waffenschein und sogar eine Erlaubnis zum Besitz von Sprengstoff. Der Widerruf der Erlaubnisse befinde sich derzeit in Bearbeitung, so das Ministerium in der Antwort an die SPD. Außerdem gibt es eine weitere neue Erkenntnis: Der Mann war der Polizei bereits 2021 bei einer Demonstration der sogenannten Querdenker aufgefallen, als er gegen das Uniformverbot verstieß. Er wurde deshalb vom Amtsgericht Tübingen zu einer Geldstrafe verurteilt.