Das größte Amateurtheater Baden-Württembergs, das Naturtheater in Heidenheim, zieht seit genau 100 Jahren Besucherinnen und Besucher aus Nah und Fern an. Seit rund 40 Jahren ist Familie Barth dabei. Mit viel Leidenschaft. Enkel Max Barth führt beim Jubiläumsstück "Annie" Regie, seine Mutter spielt eine der Hauptrollen und seine Oma Sissi steht mit 85 Jahren auch noch auf der Bühne, denkt gar nicht ans Aufhören. Schon in Kürze könnte die vierte Generation ihren ersten Auftritt haben.
Familie Barth: Drei Generationen auf einer Bühne
Zwei Stunden vor der Generalprobe herrscht im Naturtheater Nervosität bei den 183 Schauspielern und Schauspielerinnen sowie bei den rund 40 Helfern hinter den Kulissen. Alle sind Laien und Amateure. Nach über einem halben Jahr Proben ist es die erste Aufführung vor Publikum. Auch die 85-jährige Sissi Barth ist aufgeregt, während sie sich Handschuhe, Mantel und Hut anzieht für ihre Rolle als Vogelfrau im armen Volk. "Vor der Generalprobe und vor der Premiere sind immer alle angespannt", sagt sie.
Als Sissi Barth in den Neunziger Jahren mit der ehrenamtlichen Schauspielerei anfing, war sie schon über 50. Sie war von ihren eigenen Kindern überredet worden, beim "Weißen Rössl" mitzumachen - und war sofort infiziert. "Wenn Sie von tausend Leuten Applaus kriegen, da geht es Ihnen kalt und warm den Buckel runter", erzählt die Schwäbin. "Das macht so viel Spaß. Und wenn Sie das Fieber mal haben, kommen Sie nicht mehr los."
Max Barth: Regie, Choreografie, Maskenbild und weibliche Hauptrolle
Ihr Enkel Max Barth ist der Regisseur des Jubiläums-Musicals. Kurz vor der Aufführung ist der 32-Jährige überall gleichzeitig gefragt. Der Tonmeister will mit ihm noch einmal die Lautstärke der Musikstücke testen. Das Ensemble soll noch die Aufstellung für den Schlussapplaus proben. Seine Oma will wissen, ob sie die blauen Handschuhe noch gegen schwarze tauschen soll, und wo die denn seien?
Max Barth ist ein Tausendsassa. Er führt nicht nur Regie. Er macht auch die Choreografie und das Maskenbild. Und er spielt selbst mit. "Hoffentlich geht das alles gut", meint er bevor er in der Maske verschwindet.
Für seine Rolle muss sich Max rasieren. Er spielt Miss Hannigan, die Leiterin eines Waisenhauses im New York der Dreißiger Jahre. Wimperntusche, lackierte Fingernägel, Kleid, Perlenkette, eine Perücke mit langen schwarzen Haaren. Von dieser Rolle hatte er irgendwie schon als siebenjähriger Bub geträumt, als er bei der letzten "Annie"-Aufführung 1999 im Naturtheater ein Waisenkind spielte.
Die vierte Generation steht in den Startlöchern
Seinen ersten Auftritt hatte Max schon als Baby, als ihn seine Eltern nach der Geburt einfach mit auf die Bühne nahmen. Das war auch bei seiner Schwester Anna so. "Ich wurde kürzlich für 30 Jahre Mitgliedschaft beim Naturtheater geehrt, obwohl ich noch 29 war", berichtet Anna. Wie das geht? Ihre Mutter hatte sie schlicht schon vor ihrer Geburt angemeldet.
Jetzt ist Anna hochschwanger und kann deshalb nicht mitspielen. Die vierte Generation wird wohl ein Junge werden. "Ich lasse ihn jederzeit auf die Bühne", erklärt die werdende Mama. "Wahrscheinlich geh ich mit ihm auch im Kinderwagen auf die Bühne." Da mischt sich schon Annas Mutter Bettina ein: "Bevor der sprechen kann, ist der auf der Bühne."
Rund 200 Mitwirkende - von kleinen Kindern bis Oma Barth
Die Aufführung beginnt. Rund 200 Mitwirkende, von kleinen Kindern bis Oma Sissi, wissen, wann sie wo zu sein haben. Max Barth, im normalen Beruf Friseur, blüht als Miss Hannigan auf, singt auch Solo-Partien. Seine 85-jährige Großmutter beherrscht ebenfalls ihre Rolle als eine arme, alte Frau, die in den Straßen New Yorks friert. Diesmal keine Textrolle. Dafür muss sich mehrmals hinter den Kulissen im Chor mitsingen. Die kleinen Fehler während der Generalprobe bemerken die Zuschauer nicht. Sie werden aber von Bettina, der Mutter von Max Barth, während der Vorstellung notiert. Sie teilt sich die Hauptrolle der Miss Hannigan mit ihrem Sohn. Die beiden werden wechselnd auftreten.
Ein Wunsch: Uroma und Urenkel gemeinsam auf der Bühne
Oma Sissi Barth ist für alle 20 "Annie"-Aufführungen eingeplant. In der Pause sitzt sie mit der 86-jährigen Ursula Metzler zusammen, die einzige, die noch älter ist. "Aufhören tun wir nicht", sind sich beide einig. Zur Not müsse man halt für sie Rollen mit Krückstock oder im Rollstuhl finden. "Erst wenn es wirklich gar nicht mehr geht", fügt Urusla Metzler hinzu. Und Sissi Barth hat ja noch einen Wunsch - einmal mit ihrem Urenkel auf der Bühne stehen. Dann wären es vier Generationen gleichzeitig von Familie Barth in Heidenheim.