Das Theater Ulm hat einen Rundweg zum Hören zu verschiedenen Stolpersteinen in der Stadt erstellt. Wer an dem Audiowalk teilnimmt, erfährt und erlebt über Kopfhörer die Schicksale der jüdischen Familien im Nationalsozialismus. Die einstündige Tour durch die Innenstadt führt entlang einiger Stolpersteine, die den Opfern gewidmet sind. 144 solcher Messingplatten sind insgesamt in Ulm ins Pflaster eingelassen.
Die Zeitreise beim Audiowalk beginnt an der vielbefahrenen Theaterkreuzung. In den 1930er Jahren war hier noch ein lauschiger Park, damals eine gute, zentrale Wohnlage. In der Neutorstraße 16, vor dem Ibis Budget, liegen Stolpersteine, die an Mitglieder der Familien Moos und Hilb erinnern. Von hier verschleppten die Nazis Jenny Moos 1942 nach Theresienstadt und später nach Auschwitz, wo sie ermordet wurde. Ihre beiden Söhne konnten nach Israel entkommen. Jahrzehnte später erhalten sie Jennys Diamantring von einem Unbekannten in Tel Aviv. Niemand kennt die Gründe und Umstände, niemand fragt nach.
Schauspielchef Brandis: "Die Recherche war sehr berührend"
Das, was wir heute wissen und erfahren können, ist umso kostbarer. Jasper Brandis, Schauspielchef am Theater Ulm, hat mit seinem Team drei Monate lang intensiv recherchiert, Interviews mit Zeitzeugen geführt und Texte verfasst. Die Beschäftigung mit dem Schicksal der jüdischen Familien und "die ganze Recherche war sehr berührend", sagt Brandis. Er findet den Audiowalk deshalb "total interessant, weil man auf die Dinge einen neuen Blick kriegt und sehr plastisch einsteigt in die Erzählungen."
In der Ulmer Neustadt ist das Schicksal der Viehhändler-Familie Barth verortet, die nach Riga deportiert wurde, wo sich ihre Spur verliert. Die Bäckerfamilie Hintz war eine der wenigen, die die ausgegrenzten jüdischen Nachbarn mit Brot versorgte. Vorbei am Wohnhaus der Unternehmerfamilie Frenkl, die mit Zigarren und Zigaretten ihr Geld verdiente, geht’s zum Schuhhaus Werdich, das der frühere jüdische Besitzer Otto Polatschek während der Arisierung verkaufen musste. Die einfühlsamen und detailreich recherchierten Texte – eingesprochen vom Ulmer Ensemble - bringen die Schicksale der jüdischen Familien sehr nahe: anschaulich und direkt vor Ort in ihrer einstigen Heimatstadt.
"Das macht einen betroffen, das kann man nicht vergessen!"
Die Geschichten gehen unter die Haut. "Ich bin ein politischer Mensch", sagt ein Teilnehmer, der wie viele betroffen ist. "Das kann man nicht vergessen", so sein Fazit. Auch Mark Tritsch von der Stolperstein-Initiative Ulm ist sehr berührt, denn der Audiowalk war viel besser, als er ihn erwartet hatte. "Ich habe nicht gewusst, dass es diesen Effekt haben würde, dass man die ganze Zeit daran denken musste: Wie war die Welt damals? Was ist passiert?" Da der atmosphärisch dichte Audiowalk auch mit Geräuschen und Liedern arbeitet, kann man sich der Wirkung kaum entziehen. "Man hat beim ganzen Gang durch die Stadt diese Gedanken im Kopf", erklärt Tritsch.
Der Audiowalk "Begegnungen" des Theaters Ulm kostet 7 Euro und findet noch vier Mal statt, zwei Mal am Freitag, 31. März sowie am Dienstag nach Ostern, am 11. April. Jeweils um 15 Uhr und um 16:30. Der einstündige Rundgang durch die Stadt ist für zwanzig Personen konzipiert.