Der Mittwoch war ein Tag mit großen Neuigkeiten bei CureVac. Für das Tübinger Biotech-Unternehmen glichen die Mitteilungen am Mittwoch einem Beben. Denn das Unternehmen gab bekannt, dass es die Impfstoffforschung gegen Covid-19 und Grippe an den britischen Pharmakonzern GSK abgibt und dass rund 330 Beschäftigte ihre Stelle verlieren. Das seien Schritte, die notwendig sind, sagte CureVac-Chef Alexander Zehnder dem SWR im Interview.
SWR: Sie streichen fast jede dritte Stelle, wie ist da der Standort Tübingen betroffen?
Alexander Zehnder: Der Standort Tübingen ist natürlich betroffen. Es ist unser Headquarter und 90 Prozent der Leute arbeiten bei uns in Tübingen. Ich glaube, man muss das Announcement von Mittwoch aber ein bisschen in Kontext setzen: Auf der einen Seite ist CureVac in der Pandemie-Phase extrem schnell und stark gewachsen. Wir sind innerhalb von kurzer Zeit von 300 bis auf über tausend Leute gewachsen, haben sehr viel Pandemie-Infrastruktur aufgebaut - im Nachhinein wahrscheinlich zu viel.
Teil der Korrektur, die wir jetzt machen - auch in Zusammenhang mit dieser Lizenzvereinbarung, die wir gemacht haben mit GSK -, ist jetzt ein bisschen, dies zu korrigieren. Wir wollen das machen aus einer Position der Stärke heraus. Das ist natürlich nie einfach. Das ist uns auch schwer gefallen. Aber ich glaube, es ist ein Schritt, der notwendig ist um auch die langfristige Sicherheit von CureVac in Tübingen zu stärken.
SWR: Haben Sie das den Beschäftigten auch erst am Mittwoch gesagt? Wie kam diese Neuigkeit bei ihnen an?
Zehnder: Das ist natürlich eine Neuigkeit, die nicht einfach rüberzubringen ist. Aber ich glaube, die Leute haben es gecheckt, dass wir ehrlich waren. Dass wir offen waren, dass wir auch dastanden vor der Belegschaft, auch Fragen beantwortet haben. Es ist natürlich ein Prozess, der ein bisschen dauert, das Ganze zu verdauen, um über das Ganze nachzudenken. Aber ich glaube, wir sind ok gestartet und wir sind für unsere Mitarbeiter da. Und jetzt gehen wir die nächsten Schritte gemeinsam.
SWR: In Tübingen fällt viel weg, weil die Forschung an Impfstoffen gegen Covid-19 und Grippe an GSK geht. Wie geht es in der Zentrale weiter? Wird da künftig mehr produziert?
Zehnder: Nein, CureVac hier in Tübingen, das ist unser Headquarter. Das wird immer noch die Zentrale für Forschung und Entwicklung bleiben. Es ist ein bisschen ein "back to the roots" für CureVac, dass wir uns wieder vermehrt wirklich auf Forschung, Entwicklung und Innovation eigentlich konzentrieren. Das ist da, wo CureVac groß geworden ist - mit dem Spin-Off aus der Universität.
Wir werden hier auch nach wie vor produzieren. Sie sehen große Gebäude nebenan. Wir werden jetzt das Ganze ein bisschen kleiner machen. Und ein bisschen mehr wirklich zukunftsgerichtet und auch besser aufgestellt auf das Portfolio, das wir haben. Aber wir werden nach wie vor ganz klar Forschung, Entwicklung und auch Produktion hier in Tübingen machen.
SWR: Was wird dann in Tübingen produziert - produzieren Sie hier für GSK?
Zehnder: Nein, für GSK produzieren wir nicht mehr. Wir unterstützen von Produktionsseite her die ganzen klinischen Studien, die wir selber machen - also die Projekte, die wir jetzt neu starten oder schon in petto haben: zum Beispiel für die Onkologie und weitere Programme auch für die Infektiologie. Wir produzieren ein bisschen auch für andere Firmen. Wir haben zum Beispiel eine Kollaboration mit einem US-amerikanischen Biotech-Unternehmen, das heißt CRISPR. Das heißt, wir brauchen die Produktion, um unsere eigene Entwicklung jetzt zu unterstützen, aber auch für andere.
SWR: Sie bekommen von GSK mindestens 400 Millionen Euro, möglicherweise sogar 1,45 Milliarden Euro. Warum streichen Sie trotzdem so viele Stellen?
Zehnder: Wir streichen trotzdem so viele Stelle, weil sich die Zusammenarbeit mit GSK jetzt verändert. Wir übertragen im Prinzip die Verantwortung für Covid-19 und Grippe auf GSK. Das sind unsere am weitesten fortgeschrittenen Projekte. Wir bleiben aber nach wie vor am Erfolg beteiligt (über die Lizenzvereinbarungen, Anm. d. Red.). Also ganz rausgehen wir nicht. Und wir sind ganz klar der Meinung, wir müssen jetzt aus einer Position der Stärke agieren.
Wir haben jetzt weniger zu tun, wir fokussieren uns jetzt mehr. Und ich glaube, wir müssen sicherstellen, dass CureVac in drei bis fünf und zehn Jahren noch erfolgreich ist. Und deshalb ist es ein Schritt, der schwierig ist. Aber wir sind trotzdem voll davon überzeugt, dass es der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt ist.
SWR: Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, so viele Beschäftigte zu entlassen? Welche Vorteile versprechen Sie sich davon?
Zehnder: CureVac ist im Nachhinein einfach zu stark und zu schnell gewachsen. Wir machen jetzt ein bisschen eine Korrektur. Nicht nur basierend auf der neuen Vereinbarung mit GSK, sondern auch, um ein bisschen schlanker und agiler zu werden. Durch die ganze Pandemie haben wir schon sehr, sehr komplexe Strukturen aufgebaut. Das heißt, wir erhoffen uns jetzt davon, dass wir wieder kleiner werden, wieder agiler werden, wieder innovativer werden. Und vor allem auch, dass wir zukunftsgerichtet gut aufgestellt sind - für die nächsten paar Jahre zumindest.
Ausstieg aus Impfstoff-Forschung gegen Covid-19 und Grippe CureVac-Chef Zehnder erklärt, warum 300 Stellen gestrichen werden
Das Biotech-Unternehmen CureVac baut weiter Personal ab - auch in Tübingen. Außerdem verkauft es Rechte an seinen Corona- und Grippeimpfstoffkandidaten an den Pharmakonzern GSK.
SWR: Die Forschung an Impfstoffen gegen Covid-19 und Grippe waren bisher CureVacs Aushängeschilder. Wie schmerzhaft war es, die komplett abzugeben?
Zehnder: Es ist eigentlich überhaupt nicht schmerzhaft, weil wir nach wie vor am Erfolg von Covid-19 und Grippe beteiligt sind. Es ist ja nicht so, dass wir komplett raus sind. Wir haben jetzt die Endphase der Entwicklung an GSK übergeben - auch die Kommerzialisierung und die Produktion.
Aber durch das Abkommen, das wir gerade geschlossen haben, sind wir immer noch am finanziellen Erfolg der Covid- und Grippe-Impfstoffe beteiligt. Und die basieren auf der Technologie, die wir entwickelt haben. Das heißt, wir sind sehr stolz auf das, was wir erreicht haben und sind natürlich immer noch daran beteiligt.
SWR: Die Bundesregierung hatte viel Geld in CureVac investiert: in Anteile, aber auch in die Forschung und in die Produktionskapazität. Müssen Sie dieses ganze Geld jetzt zurückzahlen?
Zehnder: Nein, müssen wir nicht. Das Geld war natürlich sehr, sehr wichtig zu dem Zeitpunkt, um uns zu ermöglichen, dass wir jetzt hier stehen und wirklich eine etablierte Plattform haben, die auch erprobt ist und für die ein Partner auch bereit ist, sehr viel Geld zu zahlen. Das würden sie ja nicht machen, wenn sie nicht glauben würden, dass das wirklich eine super Plattform ist. Also war dieser finanzielle Input der Bundesregierung sehr, sehr wichtig.
Und wir werden jetzt dieses Know-How, das wir damit aufbauen konnten, weiterhin dafür einsetzen, um neue Medikamente zu entwickeln. Zwar nicht mehr gegen Covid-19 und Grippe, aber in der Krebsbehandlung und für andere Infektionskrankheiten zum Beispiel.
SWR: Die Bundesrepublik und Dietmar Hopp sind große Anteilseigner an CureVac. Wussten sie schon vorher von Ihren Entscheidungen?
Zehnder: Das haben sie natürlich. Sowohl Dievini (Hopps Beteiligungsgesellschaft, Anm. d. Red.) als auch die deutsche Regierung sitzen bei uns im Aufsichtsrat. Also das heißt, sie waren jederzeit voll informiert über die Strategie und haben das auch mitgetragen.
SWR: Wie geht es jetzt bei CureVac weiter? Was sind Ihre Pläne?
Zehnder: Wir haben eigentlich zwei Hauptstandpunkte: einer ist die Onkologie, wo wir große Fortschritte machen und wo wir glauben, dass wir viel mit dieser Technologie erreichen können. Der zweite ist die Infektiologie - außerhalb von Covid und Grippe, weil sich dort die Plattform schon bewährt hat, basierend auf den Erfahrungen, die wir mit Covid und Grippe gemacht haben. Das heißt, wir werden gezielt auch in der Infektiologie die Technologie einsetzen, um Viren, Bakterien oder Pilze bekämpfen zu können.
Und dann haben wir noch Forschungsprogramme, die sich kleinen Erkrankungen widmen, auch seltene Erkrankungen. Die sind noch in der Erforschung. Und wenn wir dann gute Möglichkeit sehen, wirklich ein differenziertes Produkt zu machen, werden wir auch dort investieren.