Wenn die Glocken der Martinskirche in Pfullingen (Kreis Reutlingen) läuten, dann vibriert im Innern des Glockenturms die Luft. Früher, als die Menschen noch keine Uhren hatten, konnten sie hoch oben am Kirchturm die Zeit ablesen oder dem Schlagen der Glocken horchen. Heute hat zwar jeder eine Uhr oder schaut aufs Handy. Funktionierende Kirchturmuhren und -glocken sind trotzdem wichtig. Für sie sorgt Turmuhrenbauer Andreas Walz aus Pfullingen.
Mehr als eine Tonne wiegt allein eine der vier Glocken in der Pfullinger Kirche – wenn sie sich bewegen, schwingt der ganze Turm. Gesteuert wird das Geläut von der Turmuhr. Früher war das Aufgabe des Glöckners, heute übernimmt es ein Computer. Aber es gibt noch ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten.
Das alte Uhrwerk in der Martinskirche stammt vom Urgroßvater
120 Jahre alt ist das Uhrwerk, an dem sich viele Zahnrädchen und Getriebe noch heute drehen. Sie haben keine Funktion mehr, aber einen großen ideellen Wert für Andreas Walz. Nicht nur, dass sein Urgroßvater das Uhrwerk gebaut hat. Als Walz ein kleiner Junge war, hat sein Großvater hat die Uhr immer gewartet.
Je weiter man den Glockenturm nach oben steigt, desto schmaler werden die Stufen. Sie knarzen, man muss durch Luken klettern. Es ist staubig, ein paar tote Fliegen liegen herum und durch die Schlitze im Mauerwerk pfeift der Wind.
Handwerkliche Präzision im Kirchturm und in der Turmuhr-Werkstatt
Andreas Walz' Aufgabe ist es, zu prüfen, ob alle Schrauben an den Glocken richtig angezogen sind. Der 60-Jährige schaut, ob der Klöppel in der Glocke frei schwingt und ob im Uhrwerk alle Rädchen ineinander greifen.
In der Werkstatt in Pfullingen stapeln sich Akten, die Arbeitsmaterialien sind säuberlich einsortiert. Auf der Werkbank liegt ein großes Ziffernblatt. Die Ziffernblätter einer Kirchturmuhr und die Zeiger werden neu vergoldet. Das hauchdünne Blattgold wird aufgedrückt, dann mit einem Pinsel ganz vorsichtig glatt gestrichen. Überschüssiger Goldstaub fällt vom Zeiger ab. "Wir sammeln schon seit Jahren den Staub, aber es reicht gerade mal für ein Mittagessen", scherzt Vater Alfred Walz.
Von Generation zu Generation - Die Evolution des Turmuhrbaus
In der fünften Generation führt Andreas Walz jetzt schon den Familienbetrieb. Sein Vater Alfred hat den Betrieb damals auch von seinem Vater übernommen. Er ist 86 Jahre alt und steht Andreas vor allem bei den mechanischen Uhrwerken mit Rat zur Seite. Denn der Beruf des Turmuhrenbauers hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Mechanische Uhrwerke sind kaum noch im Einsatz, fast alle Turmuhren sind heute elektronisch gesteuert.
Viele Kirchtürme und Glocken erzählen Geschichte
Es gibt nur eine Handvoll Betriebe in Baden-Württemberg. Die Arbeit geht Andreas Walz und seinen Mitarbeitern deshalb nicht aus. In ganz Süddeutschland kennt er an vielen Orten die Kirchtürme von innen.
Viele Mesner kennt Andreas Walz schon seit Jahrzehnten. In vielen Kirchtürmen stößt er auf Uhrwerke oder Glocken, an denen auch seine Vorfahren schon gearbeitet haben. Er wartet sie dann oder setzt sie instand. Am liebsten sitzt er aber auf der Bank vor dem alten Uhrwerk seines Urgroßvaters in der Pfullinger Martinskirche, wo er schon als Kind immer dem Opa bei der Arbeit zugeschaut hat.