Der Herr der Kirchtürme

Turmuhren und -glocken erzählen Geschichte: Die Kunst des Pfullinger Turmuhrenbauers

Stand
Autor/in
Lisamarie Haas
Lisamarie Haas ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Andreas Walz steigt in seinem seltenen Beruf als Turmuhrenbauer hoch hinaus und kümmert sich um die Uhrwerke und Glocken von Kirchtürmen. Dabei kommt er an Orte, die sonst niemand sieht.

Wenn die Glocken der Martinskirche in Pfullingen (Kreis Reutlingen) läuten, dann vibriert im Innern des Glockenturms die Luft. Früher, als die Menschen noch keine Uhren hatten, konnten sie hoch oben am Kirchturm die Zeit ablesen oder dem Schlagen der Glocken horchen. Heute hat zwar jeder eine Uhr oder schaut aufs Handy. Funktionierende Kirchturmuhren und -glocken sind trotzdem wichtig. Für sie sorgt Turmuhrenbauer Andreas Walz aus Pfullingen.

Mehr als eine Tonne wiegt allein eine der vier Glocken in der Pfullinger Kirche – wenn sie sich bewegen, schwingt der ganze Turm. Gesteuert wird das Geläut von der Turmuhr. Früher war das Aufgabe des Glöckners, heute übernimmt es ein Computer. Aber es gibt noch ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten.

Das alte Uhrwerk in der Martinskirche stammt vom Urgroßvater

120 Jahre alt ist das Uhrwerk, an dem sich viele Zahnrädchen und Getriebe noch heute drehen. Sie haben keine Funktion mehr, aber einen großen ideellen Wert für Andreas Walz. Nicht nur, dass sein Urgroßvater das Uhrwerk gebaut hat. Als Walz ein kleiner Junge war, hat sein Großvater hat die Uhr immer gewartet.

Uhrwerk der Martinskirche in Pfullingen
Das alte Uhrwerk des Urgroßvaters in der Martinskirche in Pfullingen erinnert Andreas Walz an seinen Großvater.

Wenn ich in den Kirchturm komme und den Geruch in der Nase spüre, dann ist mein Opa neben mir. Das ist ein ganz eigenartiges Gefühl. Dann ist er so lebendig für mich, obwohl er schon 40 Jahre nicht mehr lebt.

Je weiter man den Glockenturm nach oben steigt, desto schmaler werden die Stufen. Sie knarzen, man muss durch Luken klettern. Es ist staubig, ein paar tote Fliegen liegen herum und durch die Schlitze im Mauerwerk pfeift der Wind.

Handwerkliche Präzision im Kirchturm und in der Turmuhr-Werkstatt

Andreas Walz' Aufgabe ist es, zu prüfen, ob alle Schrauben an den Glocken richtig angezogen sind. Der 60-Jährige schaut, ob der Klöppel in der Glocke frei schwingt und ob im Uhrwerk alle Rädchen ineinander greifen.

Glocke der Martinskirche in Pfullingen
Andreas Walz überprüft, ob der Klöppel in der Kirchturmglocke der Martingskirche richtig schwingt. Bild in Detailansicht öffnen
Andreas Walz repariert das Uhrwerk der Kirchturmuhr
Das alte Uhrwerk des Urgroßvaters: Hier hat Andreas Walz schon als kleiner Junge seinem Großvater zugeschaut. Bild in Detailansicht öffnen
Die Kirchturmuhr der Martinskirche in Pfullingen wird repariert
Die Schrauben an den Glocken müssen immer wieder festgezogen werden. Bild in Detailansicht öffnen
Andreas und Alfred Walz in der Werkstatt
Vater Alfred Walz ist 86 Jahre alt und hilft hin und wieder mit Beratung - vor allem zu mechanischen Uhrwerken. Bild in Detailansicht öffnen
Andreas und Alfred Walz stehen in der Werkstatt und schauen sich alte Pläne der Kirchturmuhr an
Der Blick auf alte Fotos und Zeitungsberichte: Schon in fünfter Generation führt Andreas Walz den Familienbetrieb. Bild in Detailansicht öffnen
Die Kirchturmuhr der Martinskirche in Pfullingen wird repariert, Zahnräder der Uhr
Heute sind die Uhrwerke elektronisch gesteuert. Bild in Detailansicht öffnen

In der Werkstatt in Pfullingen stapeln sich Akten, die Arbeitsmaterialien sind säuberlich einsortiert. Auf der Werkbank liegt ein großes Ziffernblatt. Die Ziffernblätter einer Kirchturmuhr und die Zeiger werden neu vergoldet. Das hauchdünne Blattgold wird aufgedrückt, dann mit einem Pinsel ganz vorsichtig glatt gestrichen. Überschüssiger Goldstaub fällt vom Zeiger ab. "Wir sammeln schon seit Jahren den Staub, aber es reicht gerade mal für ein Mittagessen", scherzt Vater Alfred Walz.

Von Generation zu Generation - Die Evolution des Turmuhrbaus

In der fünften Generation führt Andreas Walz jetzt schon den Familienbetrieb. Sein Vater Alfred hat den Betrieb damals auch von seinem Vater übernommen. Er ist 86 Jahre alt und steht Andreas vor allem bei den mechanischen Uhrwerken mit Rat zur Seite. Denn der Beruf des Turmuhrenbauers hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Mechanische Uhrwerke sind kaum noch im Einsatz, fast alle Turmuhren sind heute elektronisch gesteuert.

Der Kirchturm der Martinskirche in Pfullingen
Die Martinskirche in Pfullingen wurde im 15. Jahrhundert gebaut.

Viele Kirchtürme und Glocken erzählen Geschichte

Es gibt nur eine Handvoll Betriebe in Baden-Württemberg. Die Arbeit geht Andreas Walz und seinen Mitarbeitern deshalb nicht aus. In ganz Süddeutschland kennt er an vielen Orten die Kirchtürme von innen.

Die historischen Gebäude, die Geschichte der Gebäude, die Glocken, die zum Teil 1000 Jahre alt sind, das erfüllt mich mit Ehrfurcht.

Viele Mesner kennt Andreas Walz schon seit Jahrzehnten. In vielen Kirchtürmen stößt er auf Uhrwerke oder Glocken, an denen auch seine Vorfahren schon gearbeitet haben. Er wartet sie dann oder setzt sie instand. Am liebsten sitzt er aber auf der Bank vor dem alten Uhrwerk seines Urgroßvaters in der Pfullinger Martinskirche, wo er schon als Kind immer dem Opa bei der Arbeit zugeschaut hat.

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