25 Jahre nach dem Sturm

Orkan Lothar hat Nordschwarzwald und Schönbuch verändert

Stand
Autor/in
Peter Binder
Peter Binder ist Reporter für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Es war der zweite Weihnachtsfeiertag 1999. Wind war angekündigt, doch gekommen ist Orkan Lothar. Im Schwarzwald und im Schönbuch richtete er riesige Schäden an - mit Folgen bis heute.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1999 fegte ein Orkan über Baden-Württemberg hinweg. Lothar genannt, brach er Baumstämme wie Streichhölzer und hinterließ chaotische Zerstörung. Später haben ihn manche als Chance betrachtet: für einen neuen Wald.

So entstand der Lotharpfad

Innerhalb einer halben Stunde lag der Wald. So erinnert sich Wolfgang Schlund, damals Leiter des Naturschutzzentrums Ruhestein, an den 26. Dezember vor 25 Jahren. Heute ist er Leiter des Nationalparks Schwarzwald und geht gerne über die Bohlenwege und Holzbrückchen des Lotharpfads.

Dort haben Forst und Naturschutz nach Lothar beschlossen, ein paar Hektar Fläche nicht aufzuräumen, sondern alles liegen zu lassen, wie es lag. Als Mahnmal, zur Erinnerung, und um zu sehen, was passiert. Wie die Natur mit dem Schaden umgehen wird.

Ein Schild zeigt, dass hier der Lotharpfad beginnt. Es liegt ein bisschen Schnee. Der Lotharpfad wurde eingerichtet, um nach dem Orkan zu sehen, wie die Natur sich nach einem Kahlschlag entwickelt.
Der Beginn des Lotharpfads an der Schwarzwaldhochstraße. Im Eingangsbereich ist eher licht als bewaldet, denn hier weiden immer wieder Schafe.

Es wurde schnell wieder grün, sagt Wolfgang Schlund heute. Unter dem Sturmholz waren junge Bäumchen - Fichten und Tannen, die noch keinen festen Stamm hatten - gut geschützt, und sie wuchsen rasch. Bald folgten Vogelbeere und Birke, auch Buchen und ein paar Eichen.

Nach dem Orkan: Wald im Wandel

Für die Natur, meint Schlund, war das gut so. Der Wald sei jetzt vielfältiger als früher. Und er verändert sich immer. Im Nationalpark will man das so. Allerdings, so attraktiv der Lotharpfad für Besucher ist, als Wirtschaftswald könnte man den nachgewachsenen nicht nutzen. Zu schwierig sei es, an einzelne Bäume heranzukommen, um sie zu fällen.

Bohlenwege, Brücken und Aussichtskanzeln in dichtem Grün. Sie leiten Besucher auf dem Lotharpfad an der Schwarzwaldhochstraße.
Bohlenwege, Brücken und Stege wurden gebaut, damit man die Fläche trotz der Unmengen von Totholz auf dem Boden begehen kann.

Für viele Waldbesitzer, sagt Schlund, war Lothar eine Katastrophe. Das Erbe früherer Generationen einfach weggemäht, das Holz zersplittert und unbrauchbar, die Holzpreise im freien Fall. Denn Lothar hatte ja nicht nur in Baden-Württemberg gewütet, auch in Frankreich, der Schweiz und Österreich richtete er verheerende Schäden an. Unmengen von Sturmholz waren plötzlich auf dem Markt.

Das Erbe von Generationen zerstört

Jochen Bier, der Vorsitzende des Waldbesitzervereins Nordschwarzwald, sagt, es habe ihn eiskalt erwischt, die Arbeit von Jahren war in Minuten zerstört. Er habe während Lothar am Fenster gestanden und beobachtet, wie der Sturm mit unfassbarer Gewalt ganze Waldflächen einfach umgeblasen habe. Angst und bang sei ihm da geworden.

Man konnte die Katastrophe auch als Chance nutzen, aber: lieber sowas nicht mehr!

Manche hätten die Chance genutzt, ihren Wald nach der Katastrophe anders und vielleicht stabiler wiederaufzubauen. Es gab Zuschüsse, man konnte mehr Laubholz einbringen, wie es inzwischen von Forstleuten empfohlen wird. Aber klar: das wäre auch ohne Orkan möglich gewesen, planmäßig und überschaubar.

Lothar im Schönbuch: Eine Million Festmeter Sturmholz

Auch im Schönbuch hat der Orkan Lothar vor 25 Jahren immense Schäden angerichtet. Rund eine Million Kubikmeter Sturmholz bilanziert der Geschäftsführer des Naturparks, Mathias Allgäuer. Hätte man sie auf Eisenbahnwaggons geladen, hätten die Gleise die gesamte Strecke von Tübingen bis Düsseldorf gebraucht.

Ein Bild der Verwüstung: im Hintergrund stehen noch Nadelbäume, im Vordergund liegen die Stämmer von Orkan Lothar hingeworfen auf dem Waldboden im Schönbuch.
Gefährliches Mikado: Wie hier im Schönbuch hat der Orkan Lothar zersplitterte Stämme kreuz und quer hingeworfen. Die Aufräumarbeiten waren lebensgefährlich.

Allgäuer sieht im Nachhinein auch Positives an der Katastrophe. Vor Lothar habe es im Schönbuch 40 Prozent Laubbäume gegeben, 60 Prozent Nadelgehölze. Das Verhältnis sei nun mindestens umgekehrt. Die Fichten hätten die Förster noch lange nicht ernten dürfen, insofern sei es auch hilfreich gewesen, dass der Orkan Platz schuf für Eichen und Buchen.

Zwei Fichtenstümpfe im Schönbuch, das Holz zersplittert vom Orkan.
Nach Orkan Lothar sind die Holzpreise abgestürzt - es war zu viel auf dem Markt. Und das geplitterte Sturmholz wie hier im Schönbuch war obendrein praktisch wertlos. Denn gerade der untere Teil ist eigentlich das wertvollste Stammstück.

Denn ein Wald mit hohem Laubanteil kann dem Klimawandel tendenziell besser standhalten, sagt Allgäuer. Auch wenn man sich nicht auf dieser Erkenntnis ausruhen darf, denn auch die Buche hat bereits Schwierigkeiten mit weniger Niederschlag und höheren Temperaturen.

Gemeinden haben Einnahmequelle verloren

Die Natur hat vieles selbst wieder gut gemacht. Das sieht auch Susanne Kaulfuß vom Kreisforstamt Freudenstadt so. Aber erstmal waren die Orkanschäden für viele Kommunen hart. Manche, wie Pfalzgrafenweiler, haben die Hälfte ihres Holzes verloren. Erst jetzt, 25 Jahre später, machen sie endlich kein Minusgeschäft mehr mit ihrem Wald, sagt Kaulfuß.

Ein lichte Fläche, auf der im Schönbuch dicht an dicht Birken wachsen. Nach Lothar konnten sie sich ohne menschliches Zutun ansiedeln.
Die meisten Birken im Schönbuch sind "Pionierbäume" nach Lothar. Sie brauchen viel Licht und wachsen schnell.

Fichten raus, Tannen rein

Jetzt können sie sogar wieder Geld mit Bäumen verdienen, die erst nach Lothar nachgewachsen sind. Immerhin als Papier- oder Industrieholz ließen sich die neuen Stämme bereits vermarkten. Das sei auch ökologisch sinnvoll, weil man vielfach Fichten aus den Wäldern holen kann, um Platz zu schaffen für Tannen, Kiefern oder Laubbäume, von denen man in einem gesunden Mischwald mehr haben möchte.

Bedeutung des Privatwalds hat sich gewandelt

Jochen Bier, der Vorsitzende des Waldbesitzervereins Nordschwarzwald, fürchtet, dass viele private Waldbesitzer sich diese Arbeit nicht mehr machen wollen oder können. Früher habe man im Sommer auf dem Feld und im Winter im Wald gearbeitet. Inzwischen haben die Leute andere Berufe, der Wald läuft nur nebenher.

Und wenn man nicht dazukommt, sich zu kümmern, dann setzt sich am Ende die Fichte durch. Gerade der Baum, den man eigentlich ein wenig zurückdrängen will. Aber selbst für viele, die den Wald zwar geerbt, aber wenig Zeit für ihn haben, gelte: Sie wollen sich von diesem Erbe nicht trennen. Das hat einen Grund: Ein Wald hat nie nur mit Arbeit und Profit zu tun, sondern immer auch mit Gefühlen.

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