Für die Anwohner ist es eine Plage: Seit zwei Jahren bevölkern die Tauben das Haus, koten auf den Balkon und legen Eier in Blumentöpfe. Die Balkone waren zeitweise unbenutzbar. Jetzt soll den Anwohnerinnen und Anwohnern ein großes Netz helfen.
Helga Linke hat ihre Wasserspritzpistole griffbereit. Einen ganzen Schwarm von Tauben habe sie damit schon verjagt, erzählt sie. Morgens ab 3:30 Uhr gehe das Gegurre los. Bis zu 30 Vögel auf einen Schlag habe sie auf ihrem Balkon gezählt.
So haben Anwohnerinnen und Anwohner die Taubenplage an ihrem Haus erlebt:
Das Mehrfamilienhaus in der Gutenbergstraße in Tuttlingen ist modern, viele Berufstätige leben hier - und zu ihrem Leidwesen auch viele Tauben. Bis jetzt. Denn nach diversen Maßnahmen zur Abschreckung, die keine Wirkung zeigten (Stacheln, Verscheuchen oder der Termin bei einer Falknerin), hat die Hausgemeinschaft 10.000 Euro für ein Netz zur Taubenabwehr in die Hand genommen. Die Kosten teilen sich die rund 20 Wohnungseigentümer.
Großes Netz um Hausfassade
Das Netz ist neun mal 40 Meter groß und überspannt die komplette Balkonfassade. Inklusive der Spalten unter den Balkonböden, die die Tauben gerne als Nistplätze nutzten.
Henner Lamm, der tagsüber als Architekt und Stadtplaner arbeitet und nur Abends zuhause ist, freut sich, dass seine Reinigungskraft nicht mehr ständig mit dem Putzeimer ausrücken muss, um Taubenkot zu entfernen. "Das war unhygienisch, das war fies, das war nicht auszuhalten", sagt er. Natürlich fühle er sich eingeschränkt, aber das sei ihm die Sauberkeit allemal wert. Auch Bewohnerin Helga Linke findet das Netz gut. Es sei feinmaschig und optisch unauffällig.
Illegale Fütterungen bei Nacht
Warum fühlen sich die Tauben an dem Haus in der Gutenbergstraße so wohl? Henner Lamm hat beobachtet, dass die Tiere illegal gefüttert werden. Jemand streue Korn am Brunnen vor dem Haus aus, das unterstütze die Population, sagt er. Tauben sind intelligent und ortstreu. Haben sie Futter- und Brutplätze gefunden, kommen sie immer wieder. Helga Linke hat schon vergeblich versucht, die Körner-Streuer auf frischer Tat zu ertappen. Findet sie Futter am Brunnen vor dem Haus, kehrt sie es weg.
Taubenproblem in Tuttlingen?
Zwischen 600 und 1.000 Tauben leben in Tuttlingen, schätzt die Stadt. Eine Taubenanzahl von einem Prozent der Stadtbevölkerung werde meist als akzeptabel wahrgenommen, sagt Karin Pichl, Fachreferentin für Stadttauben beim Deutschen Tierschutzbund. Bei rund 38.000 Tuttlingern machen 600 Tauben etwa 1,5 Prozent aus.
Ob man etwas als "Plage" wahrnehme, sei sehr individuell, sagt Benjamin Hirsch, Leiter des Tuttlinger Ordnungsamts. Das Wort sei kein juristischer Begriff.
Tauben-Problem: Ordnungsamt legt sich auf die Lauer
Das größte Problem seien illegale Fütterungen, weil sie noch mehr Tiere anziehen, sagt Hirsch. Er nimmt das Problem sehr ernst, geht mit seinen Kollegen regelmäßig auf Streife an der Donau. Einer von vier Plätzen, an denen regelmäßig Korn ausgestreut wird. Das lockt nicht nur Tauben, sondern auch Wasservögel und Ratten an.
Drei Menschen, die illegal füttern, hätten sie schon erwischt, erzählt Hirsch. Ihnen winken Strafen zwischen 250 und 1.000 Euro. Um den Fütterern auf die Schliche zu kommen, legen sich die Beamten vom Ordnungsamt regelmäßig auf die Lauer. "Nur auf die Tarnbemalung im Gesicht verzichten wir", sagt Hirsch.
Mit Tierschutz hat das Füttern aus Sicht des Ordnungsamts nichts zu tun. Die Tiere würden nicht verhungern, auf dem Land schon dreimal nicht, sagt Hirsch. Außerdem würden sie im Taubenschlag professionell betreut und gefüttert. Ein Taubenhaus gibt es in Tuttlingen schon, ein zweites in der Nordstadt soll bis Anfang nächsten Jahres folgen.
Taubenschläge: Bestes Mittel gegen Plage
Laut Katrin Pichl vom Deutschen Tierschutzbund sind Taubenschläge die nachhaltigste Methode, um eine Taubenpopulation langfristig zu reduzieren. Die Tiere verbrächten hier 80 Prozent des Tages und kämen so Bürgern nicht in die Quere, sagt sie. In einen Schlag passen etwa 100 Tiere, die Eier werden durch Attrappen ersetzt. Mit fünf bis sechs gut funktionierenden Schlägen ließe sich in Tuttlingen einiges machen, schätzt die Expertin.
Benjamin Hirsch ist stolz, dass die Stadt schon 2.000 Eier durch Attrappen ersetzen konnte. Weitere Vergrämungsmaßnahmen, wie etwa die Ansiedlung von Wanderfalken, sind in Planung.
Taubenkot: Nicht gefährlicher als anderer Tierkot
Eine weitverbreitete Mär: Taubenkot sei besonders infektiös. Das stimme so nicht, sagt Tierärztin Pichl. Taubenkot sei nicht gefährlicher oder infektiöser als jeder andere Kot, ob von Menschen, Haustieren oder Wildtieren. Auch eine Taube, die einem in der Stadt etwas zu nah über den Kopf fliege, stellt laut Pichl kein erhöhtes Gesundheitsrisiko dar.
Dürfen Städte Tauben töten?
Dennoch: Vielen Menschen, auch in Tuttlingen, sind die Tiere ein Dorn im Auge. Bei Horst Riess, Geschäftsführer der Tuttlinger Wohnbau, landen ständig Beschwerden von Menschen auf dem Tisch, deren Häuser oder Wohnungen von Kot geschädigt sind. Ginge es nach ihm, würde man die Tauben dezimieren, gar ausrotten.
Ordnungsamtsleiter Benjamin Hirsch erklärt, warum das nicht möglich ist: Tauben sind Wirbeltiere, unterliegen dem Tierschutzgesetz und dürfen somit "nicht ohne vernünftigen Grund" getöten werden. Sie sind auch nach dem Infektionsschutzgesetz keine Schädlinge, sondern Lästlinge. Ratten (Schädlinge) dürfte man den Garaus machen, Tauben nicht, sagt er.
Das Töten von Tauben wird immer wieder diskutiert, wie etwa kürzlich in Limburg. Um Tauben bekämpfen zu können, müssen sie als Schädlinge klassifiziert werden. Diese Entscheidungen treffen Städte und Gerichte von Fall zu Fall.
Tauben: Vom Menschen gezüchtet
Man müsse Stadttauben nicht lieben, sagt Katrin Pichl vom Deutschen Tierschutzbund. Sie plädiert aber dafür, den Tauben mit Respekt zu begegnen. "Es handelt sich um ehemalige Haustauben, die für uns irgendwann nutzlos geworden sind. Wir haben sie gezüchtet, für den Zweck, mit uns zu leben".