Ein Ehepaar aus Müllheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) hat die Schicksale jüdischer Menschen in der NS-Zeit in Müllheim über Jahrzehnte hinweg erforscht - oft gegen Widerstand aus der Bevölkerung. Viele Fragen rund um die Zeit des Nationalsozialismus in der Stadt im Markgräflerland sind aber bis heute nicht geklärt. Wie lief die Machtergreifung auf kommunaler Ebene ab? Wer waren die Profiteure des NS-Regimes? Die Stadt Müllheim hat nun ein externes Büro beauftragt, um Antworten zu finden.
Auf dem jüdischen Friedhof in Müllheim steht ein Gedenkstein. Fast 50 Namen sind auf ihm eingraviert. Jüdinnen und Juden, die im Nationalsozialismus ermordet wurden. Ihre Geschichten hat das Ehepaar Inga und Rolf Schuhbauer über Jahrzehnte recherchiert. Das Paar hat mit Angehörigen gesprochen und Akten in Archiven gewälzt. Dem Projekt haben die Schuhbauers ihr Leben gewidmet.
Letzte Jüdin 1939 aus Müllheim verschleppt
Es sind Geschichten wie die der letzten jüdischen Frau in Müllheim, die bis 1939 dort lebte. Müllheimer Nazis sind in ihr Haus eingefallen und haben sie in ein Lager ins Elsass verschleppt - damals illegal. Selbst von Nazis aus Freiburg ist die Aktion missbilligt worden. Die Frau kam wieder frei, kehrte aber nicht mehr nach Müllheim zurück.
Ehepaar bekam Gegenwind aus Müllheimer Bevölkerung
Auch über die Täter-Seite könnte Rolf Schuhbauer einiges erzählen. Durch seine Archiv-Recherchen ist er immer wieder auf Namen gestoßen. So zum Beispiel auf Beteiligte des Pogroms in Müllheim 1938. Nazis schlugen Fenster von Häusern und Läden jüdischer Menschen ein, schändeten die Synagoge und verhafteten jüdische Männer. Danach drangen sie in deren Häuser ein. Sie zerstörten Möbel und Bücher, verängstigten Frauen und Kinder.
Das Ehepaar Schuhbauer kennt die Namen Beteiligter. "Wir konnten es in diesem Müllheim aber nicht wagen, die Namen öffentlich auszusprechen", sagt Rolf Schuhbauer. Von Nachfahren seien sie gewarnt worden und hätten die Täter deshalb anonymisiert. Ganz bewusst hätten sie sich deshalb nur auf die Schicksale jüdischer Menschen konzentriert.
Warnungen, Anfeindungen und Bedrohungen
Vor Anfeindungen und Bedrohungen hat sie das dennoch nicht geschützt. Um an die Deportation von Jüdinnen und Juden zu erinnern, stellten Schülerinnen und Schüler in Müllheim Schilder vor deren ehemalige Wohnhäuser. Sie zeigten den Weg bis zum Konzentrationslager Gurs. Ein Tag nachdem die Schilder aufgestellt wurden, stand solch ein Schild auch vor dem Wohnhaus der Schuhbauers, erinnert sich Inga Schuhbauer. Einer von vielen Einschüchterungsversuchen.
An einer Aufarbeitung der Vergangenheit habe man kein Interesse gehabt, so das Ehepaar Schuhbauer. Müllheim sei vermintes Gelände. "Das ist Müllheim. Wir kommen bis zu einem gewissen Stück und dann ist Schluss. Da ist die Barriere", meint Inga Schuhbauer.
Stadt beauftragt Büro zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
Die Stadt Müllheim will das jetzt ändern - nachdem sie jahrzehntelang die Augen vor ihrer Vergangenheit verschlossen hat. Die Stadt hat ein externes Büro beauftragt, die NS-Geschichte der Stadt aufzuarbeiten. Ein Historiker wird in verschiedenen Archiven recherchieren, darunter im Stadtarchiv Müllheim und im Staatsarchiv Freiburg. Außerdem soll es Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geben.
Aus Aufarbeitung entsteht Ausstellung und Buch
Der Projektkoordinator des Aufarbeitungsprozesses und Leiter des Markgräfler Museums, Andreas Weiß, erhofft sich dadurch unter anderem herauszufinden, wie die Machtergreifung der Nationalsozialisten vor der eigenen Haustür stattgefunden hat und wie genau es gelang, die Demokratie zu zerstören. "Daraus wollen wir Lehren für die Zukunft ziehen", sagt Weiß. Auch wenn sich Geschichte nicht eins zu eins wiederhole.
Am Ende der umfangreichen Aufarbeitung soll es 2026 eine Ausstellung im Markgräfler Museum geben. Zudem sollen die Ergebnisse der Recherche in einem Buch festgehalten werden.
War Müllheim eine "Nazi-Hochburg"?
Ob Müllheim eine "Nazi-Hochburg" war? Die Ergebnisse der Aufarbeitung werden es zeigen. Rolf Schuhbauer jedenfalls fallen zahlreiche Ereignisse ein, die ihn zu dieser Einschätzung bringen: Darunter Einschüchterungen jüdischer Viehhändler und Gesprächspartnern auf dem Viehmarkt 1934. Oder die kurzfristige Verhaftung eines Gastwirts im Frühjahr 1935, weil Jüdinnen und Juden bei ihm einkehrten.
Ehepaar Schuhbauer fordert: Namen der Täter müssen genannt werden
"Die Nazis waren hier sehr, sehr aktiv. Haben die Leute stark eingeschüchtert", meint Rolf Schuhbauer. Von der Aufarbeitung erhofft sich das Ehepaar, herauszufinden, wer aus der Müllheimer Bevölkerung in der Partei mitgearbeitet hat. Außerdem sollten die Namen der Täter genannt werden, finden sie. "Sonst kann man es sein lassen, dann braucht man die Aufarbeitung nicht", sagt Rolf Schuhbauer.
Das Ehepaar wünscht sich, dass sich die Müllheimer Bevölkerung ehrlich mit der eigenen NS-Vergangenheit beschäftigt. Dieser Prozess verändere den Menschen. Das haben sie an sich selbst bemerkt in den Jahren, in denen sie sich mit den Schicksalen von Müllheimer Jüdinnen und Juden befasst haben.